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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
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Welt bei Hofe nun mal.

    Bei der Vorstellung, dass ihr gesamtes zukünftiges Leben sich um ebenjene Vorschriften zu drehen hatte, wurde ihr ganz flau im Magen.
    Um dem Gedanken zu entfliehen, sprang sie wieder zu Boden und schlüpfte aus ihrem prächtigen Kleid. Darunter trug sie einen dunklen Jumpsuit. Einen Moment lang betrachtete sie ihr Bild im Spiegel. Kleidung veränderte einen Menschen. König Endor hatte das schon vor langer Zeit gewusst. Das war auch der Grund dafür, warum er die Zeit hatte anhalten lassen und jeden gezwungen hatte, fortan mit Wams oder im Kleid herumzulaufen, was zu einer Gleichförmigkeit und Steifheit geführt hatte, die Claudia zu ersticken drohten.
    Im Augenblick aber fühlte sie sich energiegeladen und frei, ja beinahe waghalsig. Sie kletterte wieder auf den Toilettensitz.
    Die Männer ritten jetzt durchs Tor am Pförtnerhäuschen. Ihr Vater zügelte kurz sein Pferd und warf einen Blick zurück zu Jareds Turm. Claudia lächelte in sich hinein. Sie wusste, was der Hüter dort zu sehen bekam.
    Er sah seine Tochter.
    Â 
    Jared hatte in den langen Nächten, in denen er keinen Schlaf finden konnte, ihr Hologramm perfektioniert. Als er es ihr gezeigt hatte und sie sich selber sitzen, plaudern, lachen und im Fenster des Turmes in der Sonne lesen gesehen hatte, war sie gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen gewesen.
    Â»Das bin nicht ich!«
    Jared hatte leise gelacht. »Niemand sieht sich gerne von außen.«
    Claudia hatte ein selbstgefälliges, kesses Mädchen erblickt, dessen Gesicht ihr wie eine undurchdringliche Maske vorgekommen war. Jede Bewegung war wohlgesetzt gewesen, jedes Wort hatte wie einstudiert gewirkt. Sie hatte überheblich und spöttisch ausgesehen.

    Â»Sieht man mich denn wirklich so ?«
    Jared hatte mit den Schultern gezuckt. »Das ist eine Abbildung, Claudia. Sagen wir mal so: Du kannst durchaus so erscheinen.«
    Jetzt sprang sie wieder hinab und rannte zurück in ihr Schlafzimmer, von wo aus sie zusehen konnte, wie die Pferde schneidig über die gemähten Wiesen trabten. Evian plapperte augenscheinlich ohne Unterlass, ihr Vater schwieg. Der Gärtnerjunge war verschwunden; am blauen Himmel türmten sich Schäfchenwolken.
    Ihr Vater und sein Gast würden mindestens eine Stunde fort sein.
    Â 
    Claudia holte die kleine Disc aus ihrer Tasche, warf sie in die Luft, fing sie wieder auf und steckte sie zurück. Dann öffnete sie die Tür ihres Schlafzimmers und steckte vorsichtig den Kopf hindurch.
    Die lange Galerie, die nun vor ihr lag, reichte von einer Seite des Hauses bis zur anderen. Sie war mit Eichenpaneelen verkleidet, und an den Wänden hingen Porträts; es standen Schränkchen mit Büchern herum, und blaue Vasen zierten kleine Tischchen. Über jeder Tür hing die Büste eines römischen Imperators und starrte mit finsterem Blick aus der Halterung auf die Vorbeigehenden. Ganz am Ende malte das Sonnenlicht gleißende, schiefe Rauten an die Wand, und eine Ritterrüstung bewachte die Treppe wie ein unerbittlicher Geist.
    Claudia trat einen Schritt aus ihrem Zimmer heraus, und die Bodenbretter knarzten. Sie waren schon alt. Claudias Miene verfinsterte sich, weil es nichts gab, um diese verräterischen Geräusche zu unterbinden. Was die Porträts anging, konnte sie nichts tun, aber im Vorbeigehen berührte sie die Rahmenkontrollen jedes einzelnen Gemäldes, sodass sie sich verdunkelten  – schließlich
waren beinahe mit Sicherheit in einigen Bildern Kameras versteckt. Vorsichtig hielt sie die Disc in der Hand; nur einmal gab diese einen verhaltenen Warnton von sich. Claudia hatte jedoch bereits von den nur schwer erkennbaren Zickzacklinien gewusst, die als Schutzmechanismus vor der Tür des Arbeitszimmers ihres Vaters installiert waren und sich leicht ausschalten ließen.
    Claudia ließ ihre Blicke zurück über den Gang wandern. Irgendwo im Haus schlug eine Tür zu, und ein Dienstbote rief etwas. Hier oben, in der gedämpften Atmosphäre der luxuriösen Vergangenheit, duftete die Luft nach Wacholder und Rosmarin; Duftsäckchen, gefüllt mit getrocknetem Lavendel, hingen in den Wäscheschränken.
    Die Tür zum Arbeitszimmer befand sich in einer Nische in der Wand und war im Schatten verborgen. Sie war schwarz, sah aus, als wäre sie aus Ebenholz, und war schmucklos bis auf den Schwan.
    Der riesige Vogel starrte

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