Incarceron
das Gefängnis mit den Menschen. Siebzig Sapienti lieÃen sich freiwillig einkerkern, um sich der Insassen anzunehmen, und danach wurde der Eingang für alle Zeit versiegelt. Sie haben ihre Weisheit an ihre Nachfolger weitergegeben. Jedes Kind weià das.«
Finn rieb über den Griff seines Schwertes. Er war müde und gereizt.
»Niemand hat das Gefängnis seitdem betreten. Wir wissen auch Bescheid über die Gebärmütter, obwohl keiner mit Sicherheit sagen kann, wo genau sie sich befinden. Incarceron verschwendet nichts, so wie es auch gedacht war. Es lässt totes Material nicht verkommen, sondern verwertet alles weiter. In seinen
Zellen lässt Incarceron neue Insassen heranwachsen. Vielleicht auch Tiere.«
»Aber ich erinnere mich an Dinge ⦠an Bruchstücke jedenfalls.« Finn umklammerte die Gitterstäbe, als ob er sich an seiner Ãberzeugung festhielte, und er beobachtete Keiro, der weit unter ihnen die Halle durchquerte, die Arme um zwei kichernde Mädchen gelegt.
Gildasâ Blicke folgten ihm. »Nein, das tust du nicht. Du träumst von den Geheimnissen Incarcerons. Deine Visionen werden uns zeigen, wie wir ihm entfliehen können.«
»Nein. Ich erinnere mich.«
Der alte Mann sah erschöpft aus. »An was erinnerst du dich denn?«
Finn fühlte sich wie ein Dummkopf. »Nun ja ⦠an einen Kuchen. Mit silbernen Kugeln und sieben Kerzen darauf. Und da waren Menschen. Und Musik ⦠immerzu Musik â¦Â« Letzteres war ihm gerade erst eingefallen, was ihn seltsam befriedigte, bis er den Blick des alten Mannes auffing.
»Ein Kuchen. Ich nehme an, dass das nur ein Symbol ist. Aber die Zahl Sieben ist sehr wichtig. Die Sapienti denken, dass sie Sapphique Glück gebracht hat; damals traf er den Abtrünnigen Käfer .«
»Ich war aber wirklich dort!«
»Jeder von uns hat Erinnerungen, Finn. Deine Prophezeiungen sind es, die wichtig sind. Die Visionen, die dich überkommen, sind die groÃe Gabe und die Besonderheit eines Sternensehers. Sie sind einzigartig. Die Menschen wissen es, die Sklaven ebenso wie die kriegerischen Banden, ja selbst Jormanric kann sich dem nicht verschlieÃen. Man merkt es daran, wie sie dich ansehen. Manche fürchten sich sogar vor dir.«
Finn schwieg. Er hasste seine Anfälle. Sie kamen völlig ohne Ankündigung, und der Schwindel, die Ãbelkeit und seine Ohnmacht
machten ihm Angst. Auch fürchtete er sich vor Gildasâ schonungsloser Befragung nach jedem Anfall, die ihn stets zittern lieà und geradezu krank machte.
»Eines Tages werde ich daran sterben«, sagte er leise.
»Es stimmt, dass nur wenige Zellgeborene alt werden.« Gildasâ Stimme war barsch, aber er wandte den Blick ab, knöpfte seinen reich verzierten Kragen über seine grüne Robe und murmelte: »Die Vergangenheit liegt hinter uns. Was auch immer geschehen ist, spielt jetzt keine Rolle mehr. Schlag es dir aus dem Kopf, oder es wird dich in den Wahnsinn treiben.«
Finn fragte ihn: »Wie viele andere Zellgeborene hast du gekannt?«
»Drei.« Gildas zupfte nervös am geflochtenen Ende seines Bartes, das sich im Kragen verfangen hatte. Dann zögerte er einen Moment, ehe er fortfuhr: »Ihr seid selten. Ich habe mein ganzes Leben lang nach deinesgleichen gesucht, ehe ich schlieÃlich dich gefunden habe. Ein Mann, der das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, ein Zellgeborener zu sein, bettelte immer vor der Halle der Leprakranken, aber als ich ihn schlieÃlich zum Sprechen bewegt hatte, stellte ich fest, dass er seinen Verstand verloren hatte. Er brabbelte etwas von einem Ei, das sprechen könne, und einer Katze, die verschwände, sodass nur noch ihr Lächeln zurückbliebe. Jahre vergingen, in denen ich vielen Gerüchten folgte, und schlieÃlich stieà ich auf noch eine von euch, nämlich eine Arbeiterin der Civitates im Eisflügel. Sie erschien mir ganz normal, und ich versuchte, sie dazu zu überreden, mir von ihren Visionen zu erzählen. Aber das wollte sie nicht. Eines Tages hörte ich, dass sie sich erhängt habe.«
Finn schluckte schwer. »Warum?«
»Man erzählte mir, sie habe nach und nach zu glauben begonnen, ihr liefe ein unsichtbares Kind hinterher, das sich an ihre RockschöÃe klammere, nach ihr riefe und sie des Nachts weckte.
Seine Stimme habe sie gequält, und sie habe ihre Ohren nicht dagegen
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