Incognita
Ironie. »Ich hatte schon befürchtet, dass dir die Arbeit bei uns überhaupt keinen Spaß mehr macht!«
So zu reden war eigentlich nicht seine Art. »Ich weiß, du fragst dich, wo ich in den letzten Wochen gesteckt habe …«
»Verdammt richtig, John!«, fiel er ihm ins Wort. »Wo hast du in den letzten Wochen gesteckt?«
John verstand nicht, weshalb Brian sich so in die Sache hineinsteigerte. Es war nicht das erste Mal, dass er in der Firma die Stellung halten musste, während John sich mit anderen Dingen beschäftigte. John hatte sogar stets geglaubt, dass Brian eine gewisse Genugtuung darin sah, diese Verantwortung zu übernehmen. Das war seine Chance zu beweisen, was in ihm steckte. Weshalb also regte er sich heute so auf?
»Brian, ich kann dir leider nicht sagen, was mir dazwischengekommen ist …«
»Nein? Und weshalb nicht?«
»Weil du mir nicht glauben würdest.«
»Wie wäre es mit einem Versuch?«
John schüttelte den Kopf. »Du musst mir einfach glauben, dass ich keine Gelegenheit hatte, dir Bescheid zu geben. Das ist alles, was ich dir im Moment sagen kann.«
Brian Guiltmore lächelte ihn kalt an, als interessiere ihn die Wahrheit gar nicht mehr. »Wie auch immer, John. In der Vergangenheit hat man dir deine Eskapaden immer wieder durchgehen lassen. Aber diesmal hast du den Bogen überspannt. Ich denke, es ist das Beste, wenn du unverzüglich deine Sachen packst und dein Büro räumst.«
Beinahe hätte John laut losgelacht. Was bildete Brian sich eigentlich ein? Sein anmaßender Ton begann John zu ärgern. Scharf sagte er: »Brian, du bist ein guter Mann, aber das hier ist kein Spiel. Wir sind nicht auf Caldwell Island, und die Art, wie du mit mir sprichst, gefällt mir nicht!«
»Ach, wirklich nicht?« Noch immer waren Guiltmores Worte voller Ironie. »Dann will ich es gerne anders ausdrücken: Die Treuhänder haben eine längst überfällige Entscheidung getroffen. Du bist gefeuert, John. Gefällt dir das besser?«
»Brian, wenn du nicht sofort aufhörst, so mit mir zu reden, dann …«
Aber Guiltmore hörte ihm gar nicht mehr zu, sondern griff zum Telefonhörer. »Stacy? Schicken Sie bitte zwei Männer vom Sicherheitsdienst herauf. Sie sollen dafür sorgen, dass Mister McNeill seine Privatsachen zusammenpackt und dann aus der Firma verschwindet. Unverzüglich und endgültig!«
John klammerte sich bis zuletzt an die Vorstellung, Opfer eines schlechten Scherzes zu sein, doch als Miller und Kovalsky, zwei Gorillas in blauer Uniform, kamen und ihn mit untergehakten Armen aus Guiltmores Büro zerrten, wusste er, dass es ernst war. Er war nicht mehr Chef dieses Unternehmens. Seines Unternehmens. Nicht einmal mehr pro forma. Brian Guiltmore und die Treuhänder hatten die Zeit seiner Abwesenheit genutzt, um ihn vollends zu entmachten.
Bitterer Widerstand regte sich in ihm. Er versuchte, sich aus den schraubstockartigen Griffen der beiden Wachmänner zu befreien – vergebens. Also schrie er seinen Zorn lauthals hinaus: »Brian, du verdammtes Arschloch! Ich habe dir vertraut! Aber so leicht wirst du mich nicht los. Ich werde mir mein Eigentum zurückholen. Und dann – das schwöre ich dir – mache ich dich fertig!«
Kapitel 22
Auch später im Auto war John noch von einem ohnmächtigen Zorn erfüllt. Trotz aufgedrehter Klimaanlage war ihm heiß, er atmete gepresst, und sein Herz raste. Er hatte große Lust, das Gaspedal durchzudrücken und mit hundertfünfzig Sachen durch die Stadt zu rasen.
Was zum Teufel ging um ihn herum vor? Andauernd warteten neue unangenehme Überraschungen auf ihn, es hörte gar nicht mehr auf. Mit seiner Rückkehr in die Gegenwart hatte sein Albtraum kein Ende gefunden, sondern – im Gegenteil – eine neue Dimension angenommen. Er war wieder in seiner Welt, in seinem Zeitalter, dort, wo er hingehörte. Und dennoch kam er sich fremd vor, weil ständig irgendwelche merkwürdigen Dinge geschahen, die ihn verunsicherten.
Um sich zu beruhigen, fuhr er zum Kensington Garden, wo er frische Luft schnappen und wieder einen klaren Kopf bekommen wollte. Aber so sehr er sich auch bemühte, Licht ins Dunkel seiner gegenwärtigen Situation zu bringen, es glückte ihm nicht. So lange er nicht zwischen Halluzination und Wirklichkeit unterscheiden konnte, war es ihm unmöglich, etwas zu unternehmen – zumal es scheinbar niemanden gab, dem er vertrauen konnte. Laura und Gordon hatten ihn belogen, Brian Guiltmore und die Firmentreuhänder hatten ihn
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