Incognita
hintergangen.
Unweigerlich keimte ein Verdacht in ihm auf: Hatte er es womöglich mit einem Komplott zu tun? Mit einer groß angelegten Intrige, die einzig und allein eingefädelt worden war, um ihm die Firma wegzunehmen? Tief in Gedanken versunken schlenderte er den Budge's Walk entlang, vor sich das Wasser des Round Pond und die Fassade des Kensington Palace. Doch an dem Zauber des Anblicks konnte er sich heute nicht erfreuen.
Ein Komplott – das wäre immerhin denkbar, sagte er sich. Gordon hat mich durch die Zeitreise für eine Weile aus dem Verkehr gezogen. Zwei Monate waren offenbar lange genug gewesen, um mich meines Amtes als Vorsitzender der McNeill Group zu entheben. Und gerichtlich klagen kann ich nicht, weil man mich aufgrund meiner Halluzinationen als unzurechnungsfähig einstufen würde. Gordon und Laura könnten bezeugen, dass ich meine fünf Sinne nicht beisammen habe. Laura ist zudem eine angesehene Anwältin. Ihr Wort würde man bei Gericht wohl kaum anzweifeln.
Sein Magen verkrampfte sich. Für ihn stand jetzt fest, dass er Opfer einer raffiniert eingefädelten Intrige geworden war. Er war das Opfer, während alle anderen ihre Vorteile daraus zogen: Brian Guiltmore war binnen kürzester Zeit zum Vorsitzenden der McNeill Group avanciert, die Treuhänder mussten sich nicht länger mit dem Schandfleck der Firma herumärgern, und Gordon bekam für seine Dienste gewiss genug Geld, um seine Zeitreise-Forschungen weiter voranzutreiben. Nur bei Laura war John sich nicht sicher. War sie ebenfalls bestochen worden? Oder hatte Gordon es geschafft, ihr den Kopf zu verdrehen und sie auf diese Weise auf seine Seite zu ziehen?
Wie auch immer, jedenfalls ist sie an diesem betrügerischen Spiel beteiligt, sonst hätte sie mir gesagt, dass ich zwei Monate lang verschwunden war, dachte John. Aber weshalb der ganze Aufwand? Es gäbe Dutzende von einfacheren Arten, mich loszuwerden. Warum so kompliziert?
Sein Handy klingelte. Am anderen Ende meldete sich ein gewisser Bill Mahoney. John konnte sich nicht erinnern, den Namen jemals gehört zu haben.
»Ich sollte sie zurückrufen«, sagte Mahoney. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber bei Selfridge's gab es heute Morgen ein Kakerlakenproblem. In der Lebensmittelabteilung. Das hatte Vorrang – ich hoffe, Sie verstehen das.«
John begriff: Mahoney war der Kammerjäger, den er wegen der Ameisen im Wohnzimmer angerufen hatte.
»Wenn es Ihnen passt, könnte ich in einer Stunde bei Ihnen sein«, schlug Mahoney vor.
John warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zwanzig nach vier. Während er im Park vor sich hingegrübelt hatte, war die Zeit wie im Flug vergangen. »Ich weiß nicht, wie ich es durch den Feierabendverkehr schaffe«, sagte John. »Wie wäre es, wenn wir uns um sechs bei mir treffen?«
»Einverstanden.«
Sie beendeten das Gespräch, und John machte sich auf den Weg zu seinem Auto.
Auch während der Heimfahrt dachte er die ganze Zeit daran, dass man ihm seine Firma weggenommen hatte. Er fragte sich, ob ein solches Vorgehen überhaupt zulässig war. Selbst wenn ja – vielleicht gab es ein rechtliches Schlupfloch, durch das er sich den Chefposten zurückholen konnte. Jedenfalls wollte er alles versuchen, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen.
Ihm war klar, dass er einen guten Anwalt benötigen würde. Da Laura aus naheliegenden Gründen ausschied, fiel ihm die Wahl leicht: Vince Broderick war nicht nur eine Koryphäe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, sondern auch ein ehemaliger Schulkamerad, mit dem er sich noch heute regelmäßig auf ein Bier traf. Das Beste: Er unterhielt keinerlei Geschäftsbeziehung zur McNeill Group. John hielt es daher für nahezu ausgeschlossen, dass Vince mit den anderen unter einer Decke steckte. Und irgendjemandem musste er schließlich vertrauen, wenn er rechtliche Schritte einleiten und seine Ansprüche auf die Firmenleitung verteidigen wollte.
John ließ sich von der Vermittlung die Nummer geben. Am anderen Ende nahm jedoch niemand ab, weder Vince selbst noch seine Sekretärin. Nicht einmal eine Bandansage sprang an. John seufzte. Wenn die Welt sich erst einmal gegen einen verschworen hatte, dann lief aber auch gar nichts nach Plan. Insgesamt probierte er es während der Fahrt fünf Mal, aber er kam nie durch. Er würde es später noch einmal versuchen müssen.
Um kurz nach halb sechs kam John zu Hause an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.
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