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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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seiner Hüfte baumelte ein beachtliches Schwert, auf dessen Knauf seine linke Hand ruhte. John fiel auf, dass dem Mann die ersten beiden Glieder seines Mittelfingers fehlten. Sein Blick wanderte wieder hinauf zum Bulldoggengesicht, das auffallend grob und kantig war. Es wirkte beinahe unfertig, so, als fehlten jene entscheidenden Details, die aus einer bloßen Maske ein menschliches Antlitz machten.
    »Was glotzt du so blöd?«, fuhr der Mann ihn an. »Wenn du Ärger suchst – bei mir kannst du ihn kriegen!«
    »Tut mir leid«, murmelte John betont unterwürfig. Das Letzte, was er brauchen konnte, war eine Schlägerei. Er wollte nichts weiter, als ein paar Stunden lang Zuschauer spielen, und dann wieder in die Gegenwart zurückkehren – und zwar möglichst unbeschadet.
    »Steh hier nicht länger unnütz herum, sondern hilf Colvedo und den anderen, die Lamas zu bepacken!«
    John nickte und beeilte sich, seinem hartgesottenen Gegenüber aus den Augen zu treten. Kein guter Anfang, dachte er. Ich bin erst seit ein paar Sekunden hier und hätte schon beinahe eine Tracht Prügel kassiert! Ich muss auf der Hut sein, damit dieser Ausflug kein Desaster wird.
    Am Ende der Bretterwand bog er um die Ecke, wo er um ein Haar mit einem kleinen, drahtigen Soldaten zusammenstieß, dessen fettiges Haar ihm strähnig bis zu den Schultern herabreichte. Sein Gesicht wirkte wie das des anderen Spaniers irgendwie grob und detailarm. Vielleicht lag es am fahlen Sonnenlicht, vielleicht an den Nachwirkungen der Zeitreise, vielleicht auch daran, dass Johns Wirtskörper eine Sehschwäche hatte. Es gab eine Menge möglicher Erklärungen. Im Moment musste John diesen Zustand einfach hinnehmen.
    Die Pupillen seines Gegenübers tanzten unruhig hin und her. Den schmallippigen Mund hatte er zu einem schlüpfrigen Grinsen verzogen, das eine Reihe schlechter Zähne offenbarte. Das spitze, von feinen Bartstoppeln übersäte Gesicht erinnerte John unweigerlich an ein Wiesel.
    »Hat Teixeiro Euch beim Nickerchen erwischt, hä?« Bei jedem Wort bildeten sich in der kalten Luft Dampfwolken vor dem Mund des Mannes. Sein Atem roch sauer und faulig. »Ich habe Euch ja gewarnt, aber Ihr wolltet nicht auf mich hören. Er ist ein Bastard! Stets auf der Suche nach Streit. Besser, Ihr legt Euch nicht mit ihm an. Loco ist unberechenbar.«
    »Loco?«
    »Wisst Ihr das nicht? Wir nennen ihn Loco – den Verrückten. Denn genau das ist er. Cristóbal Loco Teixeiro, der wildeste Schläger in unserer Einheit. Abgesehen natürlich von Jorge La Roqua, an den sich schon allein wegen seiner Körpergröße niemand heranwagt.«
    John setzte eine wissende Miene auf – in Wahrheit verstand er nichts. Er hatte dieser Expedition mehrere Kapitel seiner Doktorarbeit gewidmet, aber im Moment konnte er sich nicht einmal an die Namen der Männer erinnern, die diesen Zug begleiteten. Natürlich waren ihm Gonzalo Pizarro und Francisco de Orellana, die beiden Anführer, noch im Gedächtnis. Aber Teixeiro und La Roqua? Die Namen kamen ihm völlig unbekannt vor. Vielleicht kehrten die Erinnerungen zurück, wenn er erst einmal eine Weile hier verbracht hatte.
    »Wie heißt Ihr?«, wollte John wissen. Er bereute seine Frage jedoch sofort, als er das verwunderte Gesicht seines Gegenübers sah.
    »Ihr enttäuscht mich!«, sagte das Wiesel, die Gekränktheit in seiner Stimme wirkte allerdings gespielt. »Wie lange haben wir uns gestern unterhalten, bei Wein und Chicha?«
    Chicha war ein alkoholisches Getränk aus Yuka, Maniok oder Mais, das durch Zuführung von Speichel zum Gären gebracht wurde. John fragte sich, ob der andere das wusste. Ihm selbst bereitete allein der Gedanke daran Übelkeit.
    »Den ganzen Abend lang!«, fuhr das Wiesel in einem Ton fort, der vermuten ließ, dass in seinem Blut auch jetzt noch reichlich Wein und Chicha flossen. »Den ganzen Abend lang haben wir uns unterhalten, und da erinnert Ihr Euch nicht mehr an Euren Freund Felipe Fuentes?« Er schlug John kräftig, aber kumpelhaft auf die Schulter und begann zu lachen. »Amigo, lasst Euch gesagt sein: Ihr vertragt das Saufen nicht!«
    John lachte mit. Nicht, weil er Felipe Fuentes besonders witzig fand, sondern um dessen Vertrauen zu gewinnen. Offenbar kannte der Mann sich hier bestens aus, und er war bereit, sein Wissen mit ihm zu teilen.
    Tatsächlich gelang es John, das Wiesel in ein Gespräch zu verwickeln und ihm einige Informationen zu entlocken. Zwar blieb danach immer noch vieles unklar, aber immerhin

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