Indigo - Das Erwachen
in den Schatten konnte sie erkennen, dass er sie auch ohne Worte verstanden hatte.
Ich weiÃ. Schaff sie einfach hier raus , sagte er.
Er half ihr, die Kinder nacheinander zu dem Riss in der Wand hochzuhieven. Sie hatte den Weg früher einmal mit den Zwillingen ausgetestet. Sie wussten, was zu tun war und wo sie hinmussten. Einige Kinder hätten es fast nicht geschafft und mussten sich durch den Spalt quetschen. Benny war der Letzte. Kendra gab ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: âWir sehen uns auf der anderen Seite, kleiner Mann.â
Sie wollte Benny nach Raphael fragen, lieà es aber bleiben. Sie wollte den Jungen nicht noch mehr beunruhigen. Er hatte jetzt schon groÃe Angst, und sie wusste, dass Rafe ihn nicht allein gelassen hätte, wenn er eine Wahl gehabt hätte. Kendra fühlte sich unendlich leer. Sie hatte keine Verbindung mehr zu Raphael, eine weitere Stimme, die sie nicht mehr hören konnte. Ohne ihn fühlte Kendra sich verloren, wie gelähmt. Er war so lange ein Teil von ihr gewesen, dass sie nicht wusste, wo er aufhörte und sie selbst begann. Es war, als wäre ihre Seele zweigeteilt. Ihr Magen verkrampfte sich, ihre Hände zitterten, und sie fürchtete, nicht noch mehr ertragen zu können.
Aber Lucasâ Stimme in ihrem Kopf zwang sie in die Realität zu zurück.
Komm schon, wir müssen weiter. Sie werden uns drauÃen brauchen .
Lucasâ Worte halfen ihr, weiterzumachen. Er hatte recht. Sie musste sich konzentrieren und durfte nicht aufgeben. Die Kinder, ihre Familie, würden sie brauchen. Auch Raphael hätte es so gewollt.
Doch dann hörte sie eine weitere, viel zu nahe Explosion, und eine Druckwelle zwang sie und Lucas in die Knie. Er schützte sie mit seinem Körper vor den herumfliegenden Ziegelbrocken, die ihr in Arme und Gesicht schnitten. Sie spürte das Brennen der Wunden und nahm den Kupfergeruch von Blut wahr.
Was zum Teufel war das?
Staub regnete auf sie herab und schwebte in dichten Wolken durch die Luft. Kendra rappelte sich hustend auf und blickte zurück. Die Männer kamen. Ihre Kinder brauchten Hilfe. Sie musste zurück, doch als weitere Explosionen krachten und eine Wand in sich zusammenbrach, packte Lucas sie an der Taille, um sie aufzuhalten.
Lass mich los! Ich muss ihnen helfen! Sie wollte schreien, aber er hielt sie fest.
âDu kannst ihnen nicht helfen. Nicht jetztâ, sagte Lucas laut, weil die anderen seine Gedanken so nicht hören konnten. Er empfand dasselbe Grauen wie Kendra.
Die Kinder .
Gespenstische Lichter zuckten hinter ihr durchs Dunkel. Die Believers waren ganz nah, und es waren viel zu viele. Kendra hatte noch nie eine solche Gewalttätigkeit erlebt. Diese Männer waren wie wilde Hunde im Blutrausch. Und ihre Beute? Sie jagten die Unschuldigen, unbewaffnete Kinder, die niemanden verletzt oder getötet hatten.
Nein! Lasst sie in Ruhe! Es sind doch noch Kinder!
Der Schmerz brach aus ihr heraus, obwohl er eigentlich nur für Lucas bestimmt gewesen war. Sie wollte nicht, dass die Kinder spürten, wie sie den Boden unter den FüÃen verlor, doch sie kam nicht mehr dagegen an. All ihr Leid strömte aus ihr heraus. Sie fühlte Raphael nicht mehr, und innerhalb von Minuten war alles, was sie aufgebaut hatte, zerstört worden, als wäre es ein Nichts. Diese Männer hatten ihren Traum zerstört. Den Traum vom Werden. Den Traum von einer starken Indigofamilie.
Kendra sank in die Knie und übergab sich. Diese Männer hatten ihr alles genommen. Ohne ihre Hoffnung besaà sie nichts mehr.
Sie hatte sie alle enttäuscht.
17. KAPITEL
Zentrum von L.A .
5:00 Uhr
Der Verkehr war um diese Uhrzeit schwach, und so hatten sie für ihre Rückkehr in die Stadt nicht viel Zeit gebraucht. Rayne fuhr in der Nähe eines Tunnels auf den Seitenstreifen der Autobahn. Abseits der StraÃe folgte sie dem Weg bis zu einem kleinen Wäldchen, in dem sie ihr Motorrad abstellen konnte. Der Eingang zu dem Tunnelsystem, in dem sich das Wandgemälde befand, das sie in dem Buch aus der Museumsbibliothek gesehen hatte, musste irgendwo in dem Autobahntunnel liegen. Sie war schon viele Male hinurchgefahren, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass es dort geheime Zugänge geben könnte, die unter das Zentrum von Los Angeles führten.
Sie stellte den Motor ab, nahm ihren Helm ab und wartete darauf, dass Gabriel etwas sagte. Doch er starrte nur mit seinem Helm
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