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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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dabei ständig der Ruck des Seils am Handgelenk. Das Seil hält jemand, aber wer, ist nicht mehr klar zu sagen. Möglich, dass er eine Sonnenbrille trägt. Es ist ein sonniger Tag. Eine Lagerhalle mit Autos, viele davon auf der Seite liegend, eine weiße Straße, die an der Lagerhalle vorbeiführt und von der viel Staub aufwirbelt, wenn ein Lastwagen auf ihr fährt. Überhaupt sind sehr viele Lastwagen an diesem Tag unterwegs. Demnach gibt es auch viel Staub. Hat sich eine Staubwolke einmal gelegt, bildet sich schon die nächste, alles wird davon bedeckt, die Haare, die Wimpern, die Zehen, die aus den Sandalen hervorschauen. In einer Lagerhalle, an der sie vorbeikommt, stehen einige große, fremdartige Geräte herum. Arbeiter in hellorangen Overalls gehen zwischen diesen Geräten hin und her.
    2) Ein ganzer Tag in einem Raum mit runden Milchglasfenstern, ohne irgendwas, nicht einmal einen Eimer gibt es. Es dauert lange, bis sie sich überwinden kann, einfach aufden Boden zu pinkeln. Als das erledigt ist, wird ihr vom Geruch schlecht, und sie trommelt mit beiden Fäusten auf das, was sie für die Tür hält, aber in dem Dämmerlicht ist das nicht leicht auszumachen. Es gibt viele merkwürdige Schnittstellen in den Wänden, als würden ihre Teile von Nieten zusammengehalten; Wellblechtrümmer vielleicht, die man irgendwo aufgelesen hat. An diesem Tag trommelt sie, bis ihr die Kraft ausgeht.
    3) Ein Rummelplatz. Schilder in einer fremden Sprache, dazu kommt das Fehlen der Brille (an deren Verlust sie sich allerdings nicht erinnern kann, ab einem gewissen Zeitpunkt fehlt sie einfach), ein insgesamt unscharfer Eindruck. Eine polternde Achterbahn, die ganz knapp an ihrem Kopf vorbeizufahren scheint. Seltsam riechende Geldscheine in ihren Händen und kurze Augenblicke, in denen sie nicht sicher ist, ob sie von jemandem beobachtet oder begleitet wird. Dabei überraschend klare Erinnerungen an daheim, vor allem an die Rodelbahn hinterm Haus und den leeren Hasenstall.
    4) Viele allein verbrachte Stunden in einem Raum, in dem es ein Waschbecken gibt, und sogar ein Eimer steht in der Ecke. Er wird regelmäßig abgeholt und ausgetauscht. Jeden Morgen riecht er penetrant nach Zitrone. In einem kleinen Medizinschrank, der an der Wand hängt, gibt es Verbandszeug, aber keine Schere, mit der man es von der Rolle abschneiden könnte. Auch hier die milchig weißen Bullaugen. Dafür laute Geräusche, die von außen hereindringen. Hauptsächlich in der Nacht hört man das Geschrei eines Mannes, vielleicht auch von verschiedenen Männern. Diese Schreie sind schrecklich, man hört sie stundenlang, sie wollen einfach nicht aufhören. Laut und krähend, wie ein Hahn. Sie kann sie heute immer noch hören und hat sie, laut Vernehmungsprotokoll, den Ermittlern sogar vorgemacht. Aber außer dem Vermerk Imitiert Geschrei gibt es keine Hinweise, keine genauere Beschreibung.
    Ein anderer Zettel zitierte Magda T. wörtlich. Quellen wurden nicht angegeben. Nur auf der Rückseite des Zettels stand, mit Bleistift geschrieben, ein Wort: Arboretum .
    Das Land war so flach, dass man ringsum bis zum Horizont sehen konnte. Und der Horizont war gerade mal kniehoch, manchmal ging er mir auch bis an die Hüfte.
    Und:
    Im Haus meines Onkels gab es eine Truhe, die mir unheimlich gut gefiel. Sie war aus dunklem Holz und roch wunderbar nach alten Stoffen und Schuhen. Sie war leer, also legte ich mich oft an den Abenden hinein und ließ den Deckel über mir zufallen. Der Deckel war ein wenig verzogen und schloss nicht vollkommen, es blieb immer ein schmaler Lichtspalt, der mir genug Luft zum Atmen ließ. Manchmal schlief ich in der Truhe ein. Als ich meinen Onkel einmal im Garten sah, ging ich ans Fenster und rief zu ihm hinunter. Ich wollte wissen, was früher in der Truhe gelagert gewesen sei. Er rief zu mir hinauf, dass er das nicht mehr wisse. Er sei selbst noch ein kleines Kind gewesen, damals. Was er mit diesem Satz sagen wollte, habe ich nie verstanden. Ich habe ihn aber auch nicht danach gefragt.
    Einmal wurde sie nachts von einem weißen Krokodil besucht, das sehr höflich gewesen sei. Ein andermal kam ein kleiner Fisch mit Beinen zu ihr und führte im Dämmerlicht der Zelle einige gutmütig tollpatschige Balance-Kunststücke vor.
    Darüber habe sie lachen können.
    Gefragt, was sie einmal werden wolle, antwortete Magda mit einem Lächeln: Astronautin.
    Und manchmal ging nachts ein Mann mit Pyramidenkopf auf dem Balkon hin und her und redete mit sich

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