Indische Naechte
denken, was kommen mußte. »Und aus Stolz oder Gleichgültigkeit geschah nichts.«
»Gar nichts«, bestätigte Ian, der seine Bitterkeit nicht gänzlich unterdrücken konnte. »Es war leichter, meinen Tod hinzunehmen und sich dringenderen Angelegenheiten zuzuwenden. Ich wäre dort gestorben, wenn meine Familie sich nicht um mich bemüht hätte. Und bevor ich noch von meinem Erbe hörte, beschloß ich bereits, die Armee zu verlassen.«
»Also hat Ihre Regierung Sie im Stich gelassen«, bemerkte der Maharadja nachdenklich. Plötzlich wurde sein Blick scharf. »Kein Wunder, daß Sie nicht mehr dienen wollen. Würden Sie denn mir dienen, Falkirk?«
»Sir?« Ian war so verblüfft, daß er in die militärische Knappheit zurückfiel.
»Wie Sie schon sagten, brauchen Soldaten eine gute Führung. Möchten Sie meine Armee befehligen? Sie haben ein gutes Gespür für Strategie und Taktik und das Talent, Männer zu führen.« Er lächelte gewinnend. »Ich halte es für eine Schande, derartige Qualitäten zu verschwenden, um ein Bauer in Ihrem eigenen Land zu werden.«
Es war ein atemberaubendes Angebot. Ian glaubte nicht, daß es so zufällig kam, wie es ausgesprochen worden war. Nun erstaunte es ihn nicht mehr, daß Rajiv Singh sich die letzten Tage soviel Zeit genommen hatte, mit ihm zu sprechen. Ian dachte über die Möglichkeiten nach, die sich ihm bieten würden: Er würde Vermögen und Macht besitzen und die Chance bekommen, sein hart erarbeitetes militärisches Wissen voll zu nutzen.
Aber wozu? In Friedenszeiten bestand die Herausforderung eines Soldaten darin, messerscharfe Entschlossenheit im Angesicht endlosen, langweiligen Drills aufrechtzuerhalten. In Kriegszeiten mußte er mit einem Maximum an Tod und Vernichtung umgehen. Nichts von beiden reizte Ian für seine Zukunft.
Alles, was er wollte, war eine Ehe voller Liebe und die Chance, in dem Land seiner Vorfahren Wurzeln zu schlagen. Und wenn sein Leben zu friedlich wurde, dann würde er seinen Sitz im House of Lords dazu benutzen, die britische Regierung zu maßregeln, wenn sie unerträglich wurde. Eine Armee zu befehligen, stand nicht mehr auf seiner Wunschliste. »Euer Angebot ist eine große Ehre für mich, Euer Hoheit«, sagte er formell. »Aber ich muß ablehnen.«
»Das Angebot bleibt bestehen, Falkirk«, erwiderte der Maharadja unerschüttert. »Wie auch immer, ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf eine kurze Reise zu meinen Grenzbefestigungen begleiten. Während dieser Reise haben Sie Zeit, über die Vorteile nachzudenken, die sich aus der Position als mein Oberbefehlshaber ergeben würden.«
»Ich komme gerne mit Euch, aber erwartet nicht, daß ich meine Meinung ändere.«
Der Rajpute fixierte Ian mit einem dunklen, hypnotischen Blick. »Sie hätten Macht, Falkirk - die Möglichkeit, Männer zu formen und zu führen, einen Platz in der Geschichte einzunehmen. Können Sie ernsthaft behaupten, diese Aussicht sei gänzlich abstoßend?«
Ian lächelte. »Die wahre Macht liegt bei Euch — ich wäre nur ein Diener. Mein Land in Schottland mag, verglichen mit Dharjistan, winzig sein, doch es ist meines, und dort bin ich alleiniger Herrscher.«
Rajiv Singh lachte auf. »Dagegen kann man nur schwer etwas sagen. Dennoch hat es Vorteile, mir zu dienen. Anders als der Sirkar habe ich noch nie jemanden im Stich gelassen, der mir gut und treu ergeben war.« Er deutete auf einen Elefanten in der Nähe, dessen Howdah mit einem Vorhang verhängt war, um Kamala und Laura vor Blicken zu schützen. »Sprechen Sie mit Ihrer Frau darüber. Sie scheint hier sehr glücklich zu sein, und die Maharani ist ganz vernarrt in sie. Wenn Sie mein Angebot annehmen, wird auch sie davon profitieren. Alle Frauen lieben Juwelen — ich kann sie damit überschütten lassen, wenn Sie es wollen.«
»Ich werde die Sache mit ihr besprechen«, versprach Ian. »Aber sie ist keine Frau, die sich von Diamanten überreden läßt.«
Auf der Ebene waren die leichten Geschütze durch schwere Kanonen ersetzt worden, die von Elefanten gezogen wurden. Als sie in einer Reihe standen, wurden sie nacheinander in Ein-Sekunden-Intervallen abgefeuert. Ian begann automatisch zu zählen und kam auf etwa hundert Schuß — genug, um eine Hauptstadt in einem Tag in Schutt und Asche zu legen.
Als sich sein Gehör wieder einstellte, wiederholte er, was er ein paar Tage zuvor zu Laura gesagt hatte. »Eure Armee scheint europäische Kriegskunst mit bester Rajputen-Tradition zu verbinden, Euer Hoheit.
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