Indische Naechte
besonders Wertvolles in der Truhe. Die Papiere jedoch mochten sehr interessant sein. Ian betrachtete den Stapel. »Ich wünschte, ich könnte Russisch. Bestimmt gibt es irgendwo dazwischen Informationen über Pjotrs >Feuer über Indien<. Wie lange wirst du wohl brauchen, um das Zeug durchzusehen?«
»Eine ganze Weile, denke ich.« Laura nahm ein Tagebuch und blickte hinein. »Wenigstens hatte er hierbei all das Papier, die Tinte und das Licht, das er brauchte, so daß der Text leichter zu lesen ist als der in der Bibel.« Den Band wieder schließend, sagte sie: »Mir ist gerade in den Sinn gekommen, daß er zur gleichen Zeit wie ich in Indien gewesen sein muß. Er hat mich aber nicht besucht.«
»Es ist ein weiter Weg von Dharjistan nach Baipur«, antwortete Ian. »Selbst wenn er die Zeit gehabt hätte, wäre es vielleicht zu gefährlich für ihn gewesen.«
»Mir fällt es immer schwer, daran zu denken, daß er ja ein Feind Englands war. Papa und ich hätten uns beide unheimlich gefreut, ihn zu sehen.« Sie seufzte. »Na ja, es hat keinen Sinn, über so etwas zu grübeln.«
Sie schob ein paar herausrutschende Papiere in den Stapel zurück, als ihr ein Päckchen Briefe, das mit einem Band zusammengebunden war, auffiel. »Liebesbriefe? Was meinst du?« Sie nahm das Paket und sagte plötzlich überrascht: »Himmel, das sind Briefe von mir! Unglaublich, daß Onkel Pjotr sie all die Jahre aufbewahrt hat!« Sie ging den Stoß rasch durch. »Und ein paar von meiner Mutter. Guter Gott, die zu lesen wird mir eine Tränenflut bescheren.«
Ian fiel wieder ein, daß Pjotr Laura ermahnt hatte, die Truhe sehr sorgfältig zu untersuchen. »Mir scheint, es gibt ein paar Zentimeter Größenunterschied zwischen dem Inneren und dem Äußeren der Truhe«, sagte er also. »Vielleicht hat die Kiste einen doppelten Boden. Macht es dir etwas aus, wenn ich mal nachsehe?«
Ohne aufzusehen sagte Laura abwesend: »Bitte laß dich nicht aufhalten.«
Das Innere war recht unsauber mit einem gemusterten indischen Stoff ausgeschlagen, der viel neuer als die Truhe selbst war. Ian klappte den Dolch auf und schnitt vorsichtig am Rand entlang, dann versuchte er, den Stoff zu lösen. Nach einigen Minuten vorsichtigen Bohrens gelang es ihm, das Bodenbrett zu lockern, das ihm plötzlich förmlich entgegensprang. Darunter befand sich ein mit Baumwolle ausgestopfter Hohlraum.
Ian war enttäuscht. Dennoch konnten sich, wenn schon keine geheimen Pläne, immer noch andere Dinge darunter verbergen. Er durchsuchte das flauschige Material mit den Fingerspitzen und holte zwei kleine Gegenstände, die in blaue Seide eingeschlagen waren, heraus. Er öffnete das erste Päckchen und stieß einen verblüfften Pfiff aus.
Auf seiner Handfläche lag ein Rubin, der so groß wie eine Walnuß und so rot wie Blut war. Ungeduldig wickelte er den zweiten Gegenstand aus. Diesmal fand er einen Diamanten, der genauso groß war und aus seinem Inneren heraus eisig funkelte. »Laura, meine Liebe«, sagte er, als er seinen Atem wiedergefunden hatte, »Pjotr hat dir etwas Interessanteres als Papiere hinterlassen.«
Sie blickte immer noch abwesend auf, stieß dann aber einen halb entsetzten Schrei aus. »Lieber Gott, ist es das, was ich denke?«
»Wenn du an Edelsteine denkst, lautet die Antwort ja«, antwortete Ian. »Sollen wir nachsehen, was sonst noch darin zu finden ist?«
Nach zehn Minuten Wühlerei in der Baumwolle lag ein kaiserliches Vermögen in Edelsteinen glitzernd und funkelnd vor ihnen. Alle Steine waren riesig und nicht gefaßt, und wenigstens für Ians ungeschultes Auge wirkten sie makellos. »Wie kann Pjotr nur daran gekommen sein?« fragte Laura mit heiserer Stimme.
»Im Laufe seiner Geschäfte in Zentralasien kann er durchaus viele Möglichkeiten gehabt haben, viel Geld zu verdienen«, überlegte Ian. »In Afghanistan habe ich einmal einen beachtlichen Rubin für eine Pistole bekommen. Der Afghane und ich waren beide recht glücklich mit dem Handel. Ich verkaufte den Stein und investierte das Geld, bis es im Laufe der Jahre zu einem hübschen Sümmchen herangewachsen war. Multipliziere das ein paarmal, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß Pjotr ein gesundes Vermögen herangezüchtet hat, das er schließlich in Edelsteine umsetzte, die den beständigsten Wert besitzen. Da Indien die weltgrößte Schatzkammer für Edelsteine ist, hätte er sie hier für die Hälfte dessen kaufen können, was er in Europa dafür bekäme.«
»Mir gefällt diese
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