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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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Zorn. Dies war mehr wie die gezwungene Zurückhaltung der letzten Wochen, nachdem sie ihm die Gründe für ihre Angst genannt hatte.
    Nun war ihre Angst gegangen, seine dunkle Stimmung jedoch seltsamerweise nicht. Es war, als hätte er einen Dämon zur Hilfe heraufbeschworen, den er nun nicht fortschicken konnte. Der Gedanke flößte ihr sofort ein schlechtes Gewissen ein, doch nach kurzem Nachdenken schob sie es beiseite. Sicher hatte ihr Verhalten zum Problem beigetragen, die Wurzeln lagen jedoch viel tiefer.
    Wenn sie zurückdachte, erinnerte sie sich an gelegentliche Bemerkungen über Scham und Unwürdigkeit. Vielleicht hatte er immer schon so über sich gedacht, aber sie bezweifelte das. Genug Leute, die Ian vor seiner Gefangenschaft gekannt hatten, beschrieben ihn als einen Mann, der im Überfluß mit SeIbstbewußtsein ausgestattet gewesen war. Was hatte Sri-nivasa noch über ihn gesagt? Er hätte die Schwäche eines Kriegers — die Unfähigkeit zu akzeptieren, daß seine Stärke Grenzen hatte. Daß er sich quälte, weil er sich seines Scheiterns bewußt war.
    Ja, das paßte. Es mußte das Gefängnis gewesen sein, das ihn verändert hatte. Sie hätte gern gewußt, ob der Grund in einem besonderen Ereignis lag, oder ob es nur die Häufung monatelanger Demütigungen, Folter und Hilflosigkeit war. Für jemanden wie Ian mußte die Tatsache, hilflos zu sein, die schlimmste Folter überhaupt bedeuten.
    Aber selbst wenn ihre Vermutung zutraf, hatte sie keine Ahnung, was sie dagegen tun konnte. Er hatte einen Teil von sich zugemauert, und sie war sich sicher, daß er sie nicht so würde lieben können wie sie ihn, ehe diese Mauer zusammengebrochen war.
    Der Gedanke tat schrecklich weh. Sie liebte ihn so sehr, wollte sein Herz genauso wie seinen Körper besitzen, und das Gefühl, scheitern zu müssen, erfüllte sie einen kurzen Augenblick mit der zerstörerischen, leidenschaftlichen Wut, die die Ehe ihrer Eltern vernichtet hatte.
    Doch schnell verebbte der Zorn, und Laura war wie betäubt von der Kraft ihrer Emotionen. Es war ein Beweis dafür, daß ihre Ängste doch nicht so ganz unbegründet gewesen waren, denn sie war in der Tat das Kind ihrer Eltern. Aber sie wußte nun, sie konnte das Schlimmste vermeiden. Durch Kenneth, Ian und Kamala hatte sie gelernt, wie sie die schroffen Felsen einer drohenden Katastrophe umschiffen konnte.
    Das milderte den Schmerz über seine Zurückweisung jedoch nicht. Vielleicht mußte sie es ertragen, daß sie einander niemals so nah sein würden, wie sie es sich wünschte. Würde sie möglicherweise eines Tages aus Enttäuschung und Sehnsucht nach etwas, das sie nie würde haben können, Ian verlassen?
    Fast mußte sie über diesen Gedanken laut lachen. Mochte eine britische Lady ihren Geliebten verlassen, weil er ihre Liebe nicht erwiderte — aber sie, Laura, war Russin und besaß all die Sturheit ihres Volkes. Der endlose Himmel und das rauhe Klima hatten ihre Vorfahren geformt, hatten ihnen eine unerschütterliche Geduld verliehen und die Beharrlichkeit, niemals etwas aufzugeben, was ihnen gehörte.
    Diese wilde Entschlossenheit war in Pjotr gewesen, der Moskau niedergebrannt hatte, um es nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Es hatte in Tatjana gesteckt, die nach einer emotionalen Katastrophe ein neues Leben für sich und ihre Tochter aufgebaut hatte. Und es war sogar in tragischer Form in ihrem Vater gewesen, der sich sein eigenes Leben genommen hatte, um die Stärke seiner Liebe und seiner Reue zu beweisen.
    Und Laura besaß sie auch, diese Entschlossenheit. Ian war ihr Ehemann, und sie würde ihn niemals verlassen. Zur Hölle mit dem Stolz. Anstatt fortzugehen, würde sie lieber den Rest ihres Lebens damit verbringen, die tiefe Liebe zu gewinnen, nach der sie sich sehnte. Vielleicht würde sie scheitern, aber dann, bei Gott, würde sie es tun wie eine Russin: ohne sich zu ergeben!
    Am nächsten Morgen wachte Laura auf, als Ian seinen Arm unter ihrem Kopf bewegte. Als sie die Augen aufschlug, entdeckte sie, daß er sie ernst anblickte. Wenn sie einen Anflug der Finsternis in seinen Augen gesehen hatte, so verschleierte er ihn augenblicklich. »Tut mir leid, daß ich dich geweckt
    habe«, sagte er. »Meine Schulter ist eingeschlafen.«
    Sie begann, die tauben Muskeln zu massieren, und genoß das Gefühl der Haut unter ihren Fingern. »Du gibst aber trotzdem ein schönes Kissen ab.«
    »Und du machst das gut.« Er lächelte träge. »Du bringst gerade mein Blut

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