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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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Erde als ein echtes Geräusch war. Instinktiv schaute Laura zu Ians Festung hinauf: Direkt vor ihren Augen stürzte der gesamte Felsen mitsamt Ians Höhle wie in Zeitlupe zusammen.

Kapitel 34
    Laura hatte nicht bemerkt, daß sie schrie, bis David sie am Arm packte und heftig an sich zog. Dann drückte er ihr Gesicht an seine Schulter, damit sie die Katastrophe nicht sehen konnte. Staub und Donner erfüllten die Luft, und die Erde zitterte unter ihren Füßen.
    Langsam löste sich das Chaos in einem Poltern gelegentlich herunterfallender Steine und Felsbrocken auf. Laura klammerte sich an David und weigerte sich, zu glauben, daß Ian tot war. Doch konnte niemand das überlebt haben, was sie gerade gesehen hatte. Die Kanonenkugel mußte eine schwache Stelle in der Felswand getroffen haben, so daß der gesamte Berg abgerutscht war. Wenn Ian nicht sofort tot gewesen war, mußte er in die Schlucht gestürzt sein. Ian war tot.
    Ihr Blick verschwamm, und sie war versucht, sich in die Dunkelheit fallen zu lassen. Aber der Schmerz wäre noch da, wenn sie wieder zu Bewußtsein kam, und eine ohnmächtige Frau würde die Soldaten behindern. Als sie sicher war, daß ihre Knie ihr wieder Halt gaben, machte sie sich von David los. Sein Gesicht verriet dieselbe Qual, die auf ihrem zu lesen sein mußte.
    Aber er war Soldat und würde weder schreien noch ohnmächtig zusammenbrechen. »Kannst du einen Moment allein hierbleiben?« fragte er. »Ich will nachsehen, was mit den Afghanen passiert ist.«
    Als sie nickte, wandte er sich an Kuram. »Bleiben Sie bei ihr.« Dann führte er Zafir und seine Männer an, während Laura und der Afridi sich an die Felswand preßten, damit die Soldaten vorbeikamen.
    Laura wußte nicht, wie lange David fortgewesen war, denn die Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Nichts hatte noch Bedeutung. »Die Felswand hat ein großes Stück des Pfads mitgerissen«, sagte ihr Schwager ruhig. »In der nächsten Zeit wird niemand mehr hier hindurchkommen können — vielleicht niemals wieder.«
    Schaudernd vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Also hatte Ian es geschafft; er hatte das Feuer erstickt, das Pjotr Andrejewitsch gelegt hatte. Es würde keine afghanische Invasion durch den Shpola-Paß geben. Die Punjabis konnten sich wieder damit beschäftigen, sich selbst niederzumetzeln, statt die Soldaten des Sirkar. Rajiv Singh würde lernen müssen, mit seinem Haß auf die Briten zu leben, denn in Zukunft würde man ihn so genau beobachten, daß er keine Gelegenheit bekommen würde, Unheil anzurichten.
    Ja, Ian hatte es geschafft und mit seinem Leben bezahlt. Ohne Zweifel würde er finden, daß es den Preis wert war, um einen Krieg zu verhindern.
    Laura war sich nicht so sicher.
    Er war lebendig begraben. Sandige Erde füllte seinen Mund, drückte auf seinen Körper, preßte seine Lungen zusammen, und er konnte nichts mehr empfinden als nackte Panik. Ian wollte schreien, sich ergeben, wollte herausbrüllen, daß er alles tun würde, was sie wollten, wenn sie ihn nur leichter sterben ließen.
    Aber seine Henker schwiegen; sie würden ihm nichts ersparen. Hoffnungslos wühlte er in der Erde herum, nicht weil er glaubte, er könnte sich retten, sondern weil es ihm unmöglich war, ruhig liegenzubleiben, während sie sein Grab zuschaufelten.
    Plötzlich fühlte er keinen Widerstand mehr, sein rechter Arm war frei, dann sein linker. Er kämpfte und strampelte, und dann streichelte frische Luft sein Gesicht. Er hustete, spuckte, und dann konnte er wieder atmen, wenn die Luft auch dumpf und voller Staub war. Doch es war dunkel, so dunkel... es war die schwere, erstickende Finsternis eines Grabes.
    Zuerst glaubte er, sie hätten es geschafft, ihn ganz zu blenden. Doch als er sein Gesicht berührte, spürte er Bartstoppeln, die erst ein paar Tage alt waren, nicht die langen Haare, die ihm in der langen Gefangenschaft gewachsen waren.
    Wie in einem Kaleidoskop fielen die Teile wieder an ihren Platz, und er erinnerte sich nun, daß er nicht mehr in Buchara war. Juliet und Ross, dann seine Rückkehr nach Indien. Laura, Heirat, Dharjistan. Ein Plan, den Sirkar zu stürzen. Der Shpola-Paß, sein Versuch, die Invasion aufzuhalten. Hatte es eine Explosion gegeben? Nein, Artilleriefeuer. Und dann?
    Er schob sich in eine sitzende Position und scharrte die Erde und die Steine weg, die seinen Unterkörper bedeckten. Dann stand er auf und untersuchte seine Umgebung. Nach ein paar Minuten identifizierte er eine schroffe Felsnase, die er

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