Indische Naechte
Blätterdecke.
Als er sich dem Lager weiter näherte, hörte er scharfe Rufe auf Urdu und das Grunzen und Wiehern verängstigter Tiere. Er band sein Pferd an und schlich sich dann, eine Hand am Revolver, vorsichtig auf das Camp zu.
Die Grenze des Waldes zur Lichtung war durch dichtes Unterholz markiert, das eine gute Deckung bot. Hinter einem großen Busch hielt er an und spähte auf die Lichtung. Eine erregte Gruppe von Männern und unruhigen Ochsen und Pferden versperrte ihm die Sicht auf die Zelte, aber die Anordnung bestätigte, daß es sich um das Lager eines britischen Beamten handelte.
Sein Blick glitt zu einer einzelnen Fackel, die einen Jungen beleuchtete, der versuchte, ein nervöses Pony in die Nähe der Zelte zu bringen. Weitere flackernde Schatten von Menschen bewegten sich hin und her, aber bevor Ian sie näher betrachten konnte, brach die Hölle los. Aus dem Dickicht zu seiner Rechten ertönte das Gebrüll einer Raubkatze — zweimal. Der markerschütternde Laut zerriß die Nacht, ein Pony wieherte schrill und riß sich los, Ochsen brüllten, und jemand schrie, daß der Tiger komme.
Durch den Lärm verschreckt, stoben zwei Dschungelkatzen nur ein Dutzend Schritte von Ian entfernt davon. Einen Augenblick später krachte ein Schuß.
Schrot zerfetzte Blätter und flog in die umstehenden Baumstämme. Ian fluchte und ließ sich zu Boden fallen, um sich aus dem Gefahrenbereich zu rollen.
Wieder krachte die Flinte, und dieses Mal schlugen die Kugeln dichter ein. Ian kauerte sich hinter einen Baum und starrte konzentriert auf die Lichtung. Die Fackel brannte nicht mehr, und alles, was er ausmachen konnte, waren die massiven Umrisse von Ochsen und Ponys, die unruhig an ihren Stricken zerrten. Die einzige Person, die er erkennen konnte, stand weniger als zwanzig Fuß von ihm entfernt, und im Licht der züngelnden Feuer konnte er erkennen, daß dieser Idiot mit einem Gewehr direkt auf ihn zielte.
Offenbar versuchte der Schütze, das Lager vor irgendeiner imaginären Gefahr zu beschützen, und ‘ Ian war zufällig mitten hineingeraten. Unter diesen Umständen wäre ein Rückzug weiser gewesen, aber Ian hatte immer lieber die Offensive gewählt. Zudem konnte er es überhaupt nicht leiden, wenn man auf ihn schoß. Und da das gleich erneut geschehen würde, brach Ian plötzlich aus seiner Deckung und stürmte geduckt auf den Schützen zu. Nach zwei riesigen Schritten setzte er zum Sprung an und stürzte sich auf ihn. Seine Schulter erwischte den Mann voll, und beide fielen zu Boden. Während des Falles entrang Ian dem Kerl die Waffe, und ein ohrenbetäubender Krach zerriß erneut die Stille.
Das Handgemenge war praktisch vorbei, bevor es überhaupt begonnen hatte. Erst als Ian seinen Gegner mit einem Arm auf den weichen Boden drückte, erkannte er, daß die schlanke Gestalt unter ihm kein Schütze war, sondern eine Schützin.
»Verdammt!« fluchte er, als er sich hastig von ihr
rollte. Die Lichtung war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, aber die Frau war mit ihrer hellen Haut und der Flut von blondem Haar deutlich als Europäerin zu erkennen. Nach ihren üppigen Rundungen zu urteilen, war sie zu alt, um Pjotrs Nichte sein zu können. Vielleicht hatte Stephenson wieder geheiratet, und dies war seine zweite Frau. In Englisch sagte Ian also: »Tut mir leid, daß ich Sie zu Boden gerissen habe. Sind Sie in Ordnung?«
»Sie sind Engländer«, sagte sie ein wenig überflüssig, als sie sich in eine sitzende Position erhob.
»Eigentlich Schotte.« Er ließ sich auf seine Fersen nieder. »Ich hoffe doch, Sie wollen nicht die antike Angewohnheit wieder ins Leben rufen, Schotten als Ziel für Schießübungen zu benutzen.«
»Ich... ich dachte, Sie seien ein Tiger«, erwiderte sie schwach.
»Sie hätten besser genauer hingesehen«, gab er trocken zurück. »Mir fehlen zwei Beine, ein Schwanz und ziemlich viele Streifen.« Aufblickend sah er, daß eine Anzahl Inder sich genähert hatten, die jedoch beim Klang der englischen Sprache stehenblieben.
Ian stand auf, packte Lauras Hand und zog sie mühelos auf die Füße. »Gott sei Dank, daß Sie eine so miese Schützin sind.« Er ließ ihre eiskalten Finger los. »Warum ballern Sie mit Munition herum? Kein Tiger würde ein Lager dieser Größe angreifen.«
»E... ein Menschenfresser läuft in der Gegend herum«, erklärte sie mit heiserer, bebender Stimme. »Wir wollten die Tiere vom Waldrand wegholen, als einer der Männer glaubte, den Tiger gesehen zu haben.
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