Indische Naechte
zu schlafen. Sie sehen müde aus.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich stehe lieber auf. Für heute habe ich genug geträumt.«
Sie nickte und ging durchs Zelt, doch bevor sie noch die Klappe angehoben hatte, sagte er: »Morgen erreichen wir Baipur. Ich wollte nur noch sagen... vielen Dank, daß Sie jemand sind, dessen Gegenwart ich ertragen kann.«
Laura versuchte ein Lächeln. »Ich muß Ihnen auch danken, daß Sie für eine Fremde soviel getan haben. Es war wie ein Gottesgeschenk, als Sie letzte Woche auftauchten.« Ihr Lächeln vertiefte sich ein wenig. »Ganz zu schweigen davon, daß Sie mich da-vor bewahrt haben, das Frühstück für einen Tiger zu werden.«
Sie wandte sich um und wollte gehen, aber seine Stimme hielt sie erneut auf. »Wenn ich Ihnen schreibe, würden Sie mir dann antworten?« fragte er unsicher. »Ich... ich möchte wissen, ob es Ihnen gutgeht.«
Ihre Finger krampften sich um die Falten der Zeltleinwand. »Natürlich werde ich das. Ich freue mich, wenn Sie von sich hören lassen.« Dann war sie in die Nacht hinaus verschwunden.
Sie hatten eine Nachricht von Kenneths Tod mit einem Boten vorausgeschickt, und als sie nun Baipur erreichten, zog die kleine britische Gemeinde Laura augenblicklich in ihre herzliche Umarmung - buchstäblich im Fall von Emily McKittrick, der Frau des Richters. Dann schlug Emily ihr vor, bei ihrem Mann und ihr zu bleiben, statt allein in Stephensons Bungalow zu wohnen, aber Laura lehnte dankend ab. Wie sie Emily erklärte, hatte sie ziemlich viel zu packen und zu entscheiden, also könnte sie am besten auch direkt damit anfangen.
Ein zweiter, nicht erwähnter Grund war der, daß Ian die Nacht bei den McKittricks verbringen würde, bevor er sich auf den Weg nach Bombay machte. Mit ihm unter einem Dach zu schlafen, würde ihre Qual nur verlängern und das Risiko erhöhen, daß sie etwas absolut Dummes tat. Es war besser, eine sofortige Trennung herbeizuführen.
Also sagte sie Ian nur kurz und formell Lebewohl, denn ihr Abschied hatte bereits in der Nacht zuvor stattgefunden. Dann ging sie zu dem Bungalow, den sie mit ihrem Stiefvater geteilt hatte. Für den Rest des Tages war sie damit beschäftigt, die Diener, die daheim geblieben waren, zu begrüßen und das Auspacken zu überwachen.
Es war ein sehr gefühlsbetonter Nachmittag, denn jedes Stück im Bungalow erinnerte sie an ihren Stiefvater: das indische Schachspiel, sein Lieblingssessel, in den sich die Umrisse seines Körpers eingedrückt hatten, der Rosenbusch, den sie in diesem ungünstigen Klima so sorgsam herangezogen hatte, weil er die Blumen über alles liebte, die Bücher, über die sie diskutiert hatten... Die Erinnerungen überfielen sie immer wieder. Bald gab Laura den Versuch auf, ihre Tränen unterdrücken zu wollen, ließ sie einfach laufen und wechselte nur gelegentlich die Taschentücher. Je mehr sie weinte, desto schneller würde der Schmerz vorübergehen.
Das einzige Mitglied der britischen Gemeinde, dem es bisher nicht möglich gewesen war, zu kondolieren, war Emery Walford, der ein entferntes Dorf besucht hatte. Er holte das Versäumnis jedoch sofort nach, als er kurz darauf in Baipur eintraf.
Laura war froh über die Unterbrechung und begrüßte ihn herzlich im Salon.
Er nahm ihre Hand in seine beiden und hielt sie fest. »Sie haben mein tiefstes Mitgefühl, Laura. Wir alle werden Ihren Vater sehr vermissen.«
Seine aufrichtige Anteilnahme trieb ihr fast wieder die Tränen in die Augen, doch sie zwang sich zu einem Lächeln. »Er hat mir einmal gesagt, daß es vielleicht raffiniertere Männer auf der Welt gäbe, aber keine ehrenhafteren als seine Kollegen in der Zivilverwaltung. Er wußte, daß die Zukunft in Händen wie den Ihren gesichert war. Er hat Sie sehr geschätzt, wissen Sie das?«
»Ich fühle mich geehrt. Ihr Vater war für mich ein Vorbild - klug, freundlich und aufrichtig bis auf die Knochen.« Als Emerys Augen sich endlich an das künstliche Licht im Zimmer gewöhnt hatten, sagte er besorgt: »Sie haben geweint. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
Sie schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, Emery, aber ich fürchte, ich werde in nächster Zeit noch öfter Tränen vergießen. Alles, was ich ansehe, erinnert mich an ihn.« Um ihn von seiner Besorgnis ein wenig abzubringen, sagte sie leichthin: »Ich muß furchtbar aussehen. Mit Eleganz zu weinen ist eine der damenhaften Tugenden, die ich nie erlernen werde.«
»Sie sehen wunderschön aus«, sagte er eindringlich. »Wie
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