Indische Naechte
stärker zutage treten, glaube ich, daß ihr euch bestens verstehen würdet.«
»Ich bin überhaupt nicht unkonventionell«, protestierte Laura. »Ich bin eine ausgesprochen unbemerkenswerte Frau.«
Als sie den Bungalow betraten, richtete er seinen aufmerksamen Blick auf sie. »Das stimmt nicht. Du bist wirklich eine Art Original. Ich würde gerne wissen, warum du dich so sträubst, das zuzugeben.«
Er war offen zu ihr gewesen, und sie schuldete ihm daher die gleiche Ehrlichkeit. Mit einiger Mühe begann sie schließlich: »Als ich nach England kam, konnte ich es absolut nicht genießen, eine kleine, seltsame Russin zu sein. In der Schule haben ein paar Mädchen über meinen Akzent und meine schrägen Augen gelacht. Die Augen konnte ich nicht ändern, aber ich habe getan, was ich konnte, um so zu werden wie die anderen. Und ich war viel glücklicher, als ich kein Außenseiter mehr war.«
»Bei mir darfst du die kleine, seltsame Russin sein«, sagte Ian. »Mir gefällt das. Und deine Augen sind wunderschön.«
Als ihre Blicke sich trafen, spürte Laura ein warmes Glühen, das in ihrem Herzen begann und sich mehr und mehr ausbreitete, bis es ihr ganzes Wesen einhüllte. Ihr Stiefvater hatte sie geliebt, aber Ian war der erste Mensch, der sagte, daß er gerade die russische Seite an ihr liebte. Vielleicht deshalb, weil Larissa Alexandrowna, die immer noch in Laura steckte, ihn sofort akzeptiert hatte.
Über seinen Defekt dankbar zu sein, kam für sie nicht in Frage. Wenn sie seine Männlichkeit hätte wiederherstellen können, dann hätte sie es getan, auch wenn es bedeuten würde, daß sie nicht heiraten würden. Aber sie konnte Ian so wenig helfen, wie er den letzten Lord Falkirk wieder ins Leben zurückholen konnte. Und da es so war, beschloß sie, einfach dem Schicksal dankbar zu sein, das sie beide zusammengeführt hatte.
Die nächste Woche hatte Laura soviel zu tun, daß sie kaum Zeit zur Trauer um ihren Stiefvater hatte. Die anderen Briten in Baipur nahmen von ihrer Verlobung erfreut Kenntnis. Emily McKittrick bemerkte, daß Ian vielleicht ein wenig zu ernst war, hatte aber keine Zweifel, daß er ein hervorragender Ehemann sein würde. Selbst Emery Walford schickte ihr einen kurzen, linkischen Glückwunsch. Dann machte er sich auf eine Reise durch den Distrikt, so daß er bei der Hochzeit nicht anwesend zu sein brauchte.
Reverend James wurde benachrichtigt und die Hochzeit auf die folgende Woche gelegt. Mit der Hilfe zweier Engländerinnen von der Station machte sich Laura daran, den Haushalt aufzulösen und sich von dem Leben zu trennen, das sie bisher in Baipur geführt hatte. Ian kümmerte sich um den Transport der Gegenstände, die Laura gerne behalten wollte. Ihr Gepäck würde mit Wagen bis nach Benares befördert, von dort mit einem Boot den Ganges hinunter gebracht und schließlich in Kalkutta nach Edinburgh eingeschifft werden. Sogar das Tigerfell würde vorausgeschickt werden, wenn es aus Nanda eintraf.
Bevor Laura mit allem fertig war, kam ihr Hochzeitstag heran. Emily McKittrick, die nur Söhne besaß, hatte sich mit Begeisterung in die Vorbereitungen gestürzt und fungierte als inoffizielle Brautmutter. Sie organisierte, machte und tat und äußerte immer wieder ihr Bedauern darüber, daß die Hochzeit in einem so kleinen Rahmen stattfinden würde.
Mit Unterstützung ihrer Zofe und Emily zog Laura ihr schönstes Kleid an, ein hochgeschlossenes, elfenbeinfarbenes Gewand mit einem spitzenbesetzten Saum und glockigen Ärmeln. Kleine weiße Rosenknospen waren in ihr Haar geflochten worden, und sie hielt einen Strauß leuchtender Blüten in der Hand. Beide Frauen versicherten Laura, daß sie so schön war, wie eine Braut nur sein konnte, ein Kompliment, das Laura wie einen Wermutsbecher entgegennahm. Das einzige, was sie sicher wußte, war, daß sie so nervös war, wie eine Braut es sein sollte.
Richter McKittrick hatte sich erboten, die Rolle des Brautführers zu übernehmen. Während er sie den Gang der kleinen Kapelle hinunterführte, hämmerte ihr Herz so heftig, daß sie sicher war, die Gäste müßten es hören. Und als die Panik sie zu überwältigen drohte, rief sie sich fast gewaltsam in Erinnerung, daß diese Ehe ganz und gar verschieden von der sein würde, die ihre Eltern geführt hatten. Sie war weder wie ihre Mutter, noch hatte Ian etwas von ihrem Vater an sich. Sie und Ian waren vernünftige Erwachsene, und gemeinsam würden sie eine gefestigte, gesunde Beziehung aufbauen.
Doch
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