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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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und Laura spürte das Zögern in Ians Bewegung, als er die Jacke um ihre Schultern drapierte. Doch er sagte nur: »Bitte sag dem Colonel und seiner Frau meinen Dank und erkläre ihnen, warum ich es nicht persönlich tun kann. Es war ein denkwürdiger Abend.«
    Und dies war, so entschied Laura, als sie sich auf ihren Weg um den Club herum machten, eine Untertreibung.
    Viel später in der Nacht lag Laura wohlig und gemütlich an Ian gekuschelt und war fast eingeschlafen, als ihr eine beängstigende Erkenntnis durch den Kopf schoß, die sie schlagartig wieder wach werden ließ. Bis kurz zuvor war sie so von den Ereignissen des Abends in Anspruch genommen gewesen — erst gesellschaftlicher Umgang, Wut, dann Lachen und Tanzen —, daß sie die Gefahren, die ihr Benehmen heraufbeschwor, nicht richtig begriffen hatte.
    Und nun wurde ihr schockierend deutlich klar, daß sie, die sie stets Ruhe und Beherrschung kultivierte, sich Zorn und Eifersucht hingegeben hatte. Obwohl sie Ian mit ihrem Stoß ins Wasser nicht gefährdet hatte, war sie nur um Haaresbreite von unkontrollierter Gewalt entfernt gewesen. Was geschah denn nur mit ihr? Sie hatte geglaubt, daß die Abstinenz von körperlicher Liebe sie vor den tödlichen Exzessen, die in ihrem Wesen verborgen waren, beschützen würde. Doch nun hatte sie bereits zweimal die Kontrolle verloren: das erste Mal, als Ian sie zu den Schießübungen genötigt hatte, das zweite Mal an diesem Abend. Offenbar war die Leidenschaft des Herzens genauso unberechenbar und gefährlich wie die des Fleisches.
    Sie schlang einen Arm um ihren Mann. Sie sah nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie lernte, sich zu beherrschen, oder sie mußte um ihrer beider willen Ian verlassen. Und das war keine echte Alternative, denn schon jetzt konnte sie sich kein Leben mehr ohne ihn vorstellen.
    2. Mai. Ein wirklich bedeutender Tag. Ich habe die Sonne gesehen und wie ein Maulwurf im Tageslicht geblinzelt. Ian und ich wurden aus dem Schwarzen Brunnen geholt und dann getrennt. Mich brachte man zum Büro des Gefängnisvorstehers, wo ein Kammerherr und zwei Mullahs warteten. Sie versprachen mir königliche Gunst, eine Stellung als militärischer Berater und eine junge Frau, die >schön wie ein Reh< sein würde. Alles was ich dafür tun mußte, war, ein Geständnis abzulegen, daß ich für den Zar spionierte, zum Islam zu konvertieren und Emir Nasrullah ewige Treue zu schwören. Der Übertritt zum Islam wäre eine Sache von Minuten gewesen. Ich hätte nur zu sagen brauchen: >lch bezeuge, daß es keinen Gott außer dem einen gibt; ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist«, dann wäre ich frei gewesen. Ganz zu schweigen von der Vorstellung, heiß zu baden und vernünftig zu essen.
    Ich will nicht so tun, als hätte ich es nicht überlegt. Bis vor kurzem hätte ich das Angebot angenommen, weil ich auf spätere Rettung gehofft hätte, und gedacht, daß die Religion, der man angehört, nicht wichtig ist. Doch es ist wichtig, wenn nicht für Gott, dann für mich. Ich sterbe, und ich weiß, daß alle Menschen sterben müssen, doch in meinem Fall ist es eine Sache von Wochen oder Monaten, nicht von Jahren.
    Und wenn die Zeit kommt, möchte ich mir sagen können, daß ich den Glauben, in dem ich aufgewachsen bin, nicht verleugnet habe, daß ich die Kirche meiner Ahnen und Vorväter, für die sie bluten und sterben mußten, nicht verraten habe. Ich möchte in einen orthodoxen Himmel mit vergoldeten Zwiebeltürmen, mit Samowaren und Weihrauch kommen, nicht in ein moslemisches Paradies mit Huris, die ihre Jungfräulichkeit jede Nacht wiedererlangen. Was sie daran finden, habe ich ohnehin nie verstanden - Jungfrauen nehmen alles immer so ernst. Lieber habe ich eine Frau, die weiß, was sie tut. Nicht, daß ich in meinem momentanen Zustand damit etwas anfangen könnte, aber ich hätte überhaupt nichts gegen eine hübsche Frau auf meinem Schoß, der ich das Knie tätscheln könnte, während ich von besseren Zeiten träume.
    Wie der Himmel wohl sein mag, wenn es ihn denn gibt? Ich stelle ihn mir gerne wie eine große Stadt vor, in der es verschiedene Viertel für die verschiedenen Glaubensrichtungen gibt, die aber alle schnell erreichbar sind. Auch wenn mich der islamische Himmel nicht reizt, wäre es doch schön, ab und zu meine moslemischen Freunde zu besuchen und ein oder zwei Pfeifchen zu rauchen. Ich nehme an, der Himmel der Römischen Kirche liegt direkt neben der des Ostens, so daß man an den wichtigen Feiertagen

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