Indische Naechte
das nach allem, was geschehen ist, nicht möglich sein kann, dann wenigstens Zufriedenheit.«
Noch etwas mußte getan werden. Ian nahm den Diamantring aus der Tasche und hielt ihn Georgina hin. »Ich habe diesen Ring für dich und niemanden sonst gekauft. Ich verstehe, daß du ihn nicht tragen willst, aber vielleicht kannst du ihn für deine älteste Tochter aufbewahren. Sag ihr, er sei von jemandem, der... der dich sehr bewundert.«
»Das werde ich tun.« Sie nahm den Ring und schenkte ihm das strahlende Lächeln, das ihn durch die lange Monate Gefangenschaft gebracht hatte. Er empfand plötzlich eine heftige Zuneigung, die zwar anders war als früher, aber nichtsdestoweniger sehr echt. Er nahm ihre Hand und küßte leicht ihre Fingerspitzen. »Auf Wiedersehen, Georgy. Bitte richte auch Gerry meine besten Wünsche aus.«
Dann wandte er sich um und ging. Georgina sank auf einen Sessel und rollte sich zusammen wie ein
Kind. Es war schwer gewesen, ihn wiederzusehen, doch nun fühlte sie eine ungeheure Erleichterung. Ian hatte recht. Er hatte sich verändert, und sie spürte es. Und er hatte auch recht, wenn er meinte, daß sie nicht mehr zueinander paßten. Nicht, daß sie nicht noch gelegentlich Stiche empfand. Es war kein Zufall gewesen, daß sie Ian Gerry vorgezogen hatte. Ian war etwas Besonderes, und ein kleiner Teil ihres Herzens würde stets dem nachtrauern, was hätte sein können. Doch nun war Gerry ihr Mann, und das Band zwischen ihnen, sowohl im täglichen Leben als auch im Ehebett, war stärker geworden, und beide freuten sich sehr auf das Kind.
Dennoch war ihre Ehe durch Ians Rückkehr strapaziert worden. Sie hatte sich schuldig, fast verdorben gefühlt, daß sie Gerrys Antrag so kurz nach der Meldung von Ians Tod angenommen hatte. Sie war sich wie eine Verräterin vorgekommen. Vermutlich waren Gerrys Gefühle ähnlich, doch sie hatten niemals darüber gesprochen. Wahrscheinlich fürchtete er nun, daß er sie ein zweites Mal an Ian verlor — emotional, wenn nicht buchstäblich.
Sie befand sich noch immer auf der Veranda, als ihr Mann zum Mittagessen kam, mit dem Ausdruck von Wachsamkeit und Sehnsucht im Gesicht, der ihn nun seit Wochen begleitete. Er blieb in der Tür stehen, als er sie entdeckte. »Stimmt etwas nicht, Georgy?« sagte er unsicher. »Du hast geweint.«
Sie rieb sich die Augen mit dem Handrücken. »Ian war hier.«
»Verdammt«, fluchte Gerry, und seine Miene wurde finster. »Was hat er diesmal gesagt? Ich werde nicht mehr zulassen, daß er dich so aufwühlt.«
Georgina schüttelte den Kopf, stand dann auf und legte ihrem Mann die Arme um den Hals. »Er hat mich nicht aufgewühlt«, flüsterte sie. »Er kam, um mir die Erlaubnis zu geben, mit dem Mann glücklich zu werden, den ich liebe.«
Zuerst begriff Gerry nicht, was es bedeutete, aber als Georginas Lippen sich auf die seinen legten, verstand er endlich. Er riß seine Frau heftig an sich, und die Barriere von Schuldgefühlen und Zweifeln, die zwischen ihnen errichtet war, fiel zusammen wie die Mauern von Jericho.
Eine lebhafte Phantasie mochte ein Segen sein, doch beim Lesen von Pjotrs Tagebuch war es vor allem quälend. Seine knappen Worte beschworen die Schrecken des Schwarzen Brunnens besser herauf, als wortreiche Beschreibungen es geschafft hätten. Schlimmer war noch, daß die beiden Männer, die in dem Bericht so unendlich litten, ihr so nahe standen.
Sie fand, daß es für heute genug sei, und blätterte müßig durch die Seiten, um die verbleibenden Einträge, die sie noch zu übertragen hatte, zu zählen und hier und da eine Zeile zu lesen.
Sie wollte die Bibel gerade zur Seite legen, als ihr unerwartet ihr eigener Name von der letzten Seite des Buches ins Auge sprang. Es handelte sich um einen Brief an sie, und er war auf Anfang August datiert — der Monat, in dem Pjotr exekutiert worden war.
Lauras Nackenhaare stellten sich auf, während sie über die Worte stolperte, denn Pjotrs Schrift hatte sich bis dahin enorm verschlechtert. Doch als sie die Übersetzung im Kopf hatte, begann sie, die Worte ins Englische zu übertragen, damit sie Ian den Brief zeigen konnte.
2. August. Ach, Larissa Alexandrowna, meine kleine Lara, die letzte der Kuschutkins und der Karelians, wird diese Bibel jemals in Deine Hände gelangen? Ich fürchte nicht, aber es ist nichts unmöglich. Ich habe von einem Engländer gehört, der ein ähnliches Gefängnistagebuch hinterlassen hat. Zwanzig Jahre nach seinem Tod tauchte es
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