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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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nette, ausgelassene Feste zusammen feiern kann. Die Lutheraner werden wohl ihr eigenes Viertel haben - ein kalter, tugendsamer Ort, denke ich, aber auf jeden Fall einen Besuch wert, wenn auch nur, um ihr Bier zu trinken.
    Allerdings wäre der Himmel eine Glücksache, bei allem, was ich in meinem Leben getan habe, und das Schlimmste könnte noch nach meinem Tod geschehen. Mein kluger, bösartiger Plan kann Tausende vernichten - und zwar Unschuldige. Es bedarf nur eines Funkens, um ein Feuer zu entfachen, das über ganz Indien toben wird. Und nur, um die Herrschaft eines Reiches gegen die eines anderen auszutauschen! Ich wünschte bei Gott, ich könnte un-
    geschehen machen, was ich tat, aber es ist unmöglich, selbst wenn ich nicht hier lebendig begraben wäre. Ich hoffe inständig, daß die verfluchte Intrige niemals Früchte tragen wird.
    Ja, ich verdiene es, in der Hölle zu schmoren. Wenigstens sehe ich dort wahrscheinlich mehr von meinen Freunden als im Himmel wieder.
    Stirnrunzelnd starrte Laura ihre Kopie an. Da war wieder dieser Hinweis auf das Feuer, das Indien vernichten konnte. Sie mußte unbedingt mit Ian darüber sprechen - vielleicht hatte Pjotr ja etwas über diesen >klugen, scheußlichen Plan< gesagt. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, was er getan haben mochte, um eine solche Katastrophe auslösen zu können. Wahrscheinlich übertrieb er die Wichtigkeit seiner damaligen Arbeit nur ein wenig.
    Seufzend massierte sie ihre Finger. Je mehr sie von dem Tagebuch las, desto mehr bereute sie, daß sie ihren Onkel nicht besser gekannt hatte. Hätte er wohl seine Idee vom Paradies mit ihr diskutiert, wenn sie erwachsen gewesen wäre? Oder hätte er solche Gedanken für sich behalten? Sie würde es niemals wissen.
    Sie und Ian hatten beschlossen, den Tag nach dem Ball noch zu bleiben, um sich auszuruhen und sich um die restlichen Dinge zu kümmern, die noch zu erledigen waren. Nach dem Frühstück — bei dem Ian nicht nur eine bemerkenswerte Portion gegessen, sondern auch noch nach einer zweiten gefragt hatte - waren sie beide getrennte Wege gegangen. Laura hatte sich von den meisten älteren Damen verabschiedet, Blanche Baskin eingeschlossen, die ein paar neckende Bemerkungen über Mitternachtsbäder mit einem hübschen Gatten fallen ließ. Dann war sie zum Bungalow zurückgekehrt, hatte ihre Habe eingepackt und den Rest des Tages für sich und damit wieder Zeit für das Tagebuch ihres Onkels gehabt.
    3. Mai. Ian ist immer noch nicht zurück. Wenn sie ihm das gleiche Angebot wie mir gemacht haben und er es angenommen hat? Ich kann es noch nicht einmal erraten, obwohl wir uns so gut kennengelernt haben. Vielleicht hat er gehandelt, wie ich es einst getan hätte, um jede Chance zu ergreifen, die sich ihm zur Freiheit bietet. Aber er ist ein sturköpfiger Geselle, der den Leuten, die ihn in Versuchung führen wollten, wahrscheinlich geraten hat, sie sollten etwas Unanständiges und anatomisch Unmögliches tun. Er kann also, Gott behüte, bereits exekutiert worden sein. Ich kann nur hoffen, daß es nicht so ist.
    5.    Mai. Sehr egoistisch, aber Ian fehlt mir sehr. Die Kälte scheint kälter, die Dunkelheit schwärzer, die Einsamkeit immer unerträglicher. Ich versuche, so viel wie möglich zu schlafen.
    6.    Mai. Ian ist zurück. Phantasierend und entsetzlich zusammengeschlagen. Sie haben ihn zu einem Stück Fleisch gemacht. Seine Wunden sehen so übel aus, daß sie sogar meinen abgehärteten Magen umdrehen können. Wenn er überlebt, bleibt er vielleicht blind, vielleicht gibt es noch andere dauerhafte Schäden. Ich habe getan, was ich konnte, aber es ist so wenig, daß ich am liebsten weinen würde. Ich bin ein alter Mann, dem kaum noch Zeit bleibt - warum konnten sie sich nicht an mir austoben?
    Die Feder in blutleeren Fingern haltend, starrte Laura ins Leere. Der Schrecken des Schwarzen Brunnens kam ihr realer vor als die helle, indische Sonne. Dies war also der Moment, in dem Ian so entsetzlich zugerichtet worden war.
    Sie hatte Angst, weiterzulesen, aber sie konnte nicht aufhören.
    20. Mai. Ian hat es überlebt, zumindest körperlich, aber er spricht kaum und erzählt mir überhaupt nichts von dem, was sie ihm angetan haben oder warum. Der verdammte, dumme Engländer muß ihnen getrotzt und den Preis dafür bezahlt haben.
    Ich fürchte nun mehr um seine Seele, als ich es zuvor um seinen Körper getan habe.
    Mit bebenden Händen schloß Laura die Bibel. Sie wollte keinesfalls die Schrift ihres

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