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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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Maharadja Rajiv Singh unterstützt den Sirkar jedoch.«
    »Was ist er für ein Mensch?«
    »Für indische Verhältnisse ein sehr humaner Herrscher«, sagte Ian zynisch. »Das bedeutet, er läßt nur Nase oder Ohren abschneiden, wo andere Herrscher bereits die Hinrichtung angeordnet hätten. Sehr progressiv. Da nun im Punjab Ranjit Singh gestorben ist, kann man Rajiv Singh als einflußreichsten Fürsten im nördlichen Indien bezeichnen. Er gehört zu den Radjputen, der Kriegerkaste, die für ihr Ehrgefühl und für ihr Kämpfertalent berühmt sind. Seine Frau Kamala soll außerdem die schönste Frau Indiens sein.«
    Laura dachte einen Augenblick darüber nach. »Könnten sie etwas mit dem Feuer über Indien zu tun haben?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Ian warf einen Blick auf den Zettel in seiner Hand. »Aber ich frage mich, wie ein russischer Agent sich mit Rajiv Singh hat anfreunden können.«
    »Warum nicht?« sagte sie mit leicht defensivem Unterton. »Onkel Pjotr war ein charmanter, kultivierter Mensch.«
    »Das ist wahr«, stimmte Ian zu, »aber wenn Pjotr in Indien war, dann hoffte er, dem Sirkar Ärger bereiten zu können. Wahrscheinlich hat er versucht, den Maharadja auf seine Seite zu ziehen. Rajiv Singh scheint zu wissen, daß es in seinen eigenen Interessen liegt, mit den Briten auszukommen, aber vielleicht ist er weniger loyal, als ich gedacht habe.« Ian las mit gerunzelter Stirn erneut das Ende des Briefes. »Vielleicht will auch jemand Rajiv Singh stürzen. Die meisten Residenzen in Indien sind voller Intrigen, und Pjotr könnte heimlich einem potentiellen Usurpator geholfen haben. Wenn ein anti-britischer Herrscher auf diesen Thron käme, könnte das für den Sirkar größte Schwierigkeiten mit sich bringen.«
    »Warum sollte sich Pjotr in die indische Politik mischen?«
    »Sein endgültiges Ziel war es immer, Rußland einen Fuß in die Tür bekommen zu lassen«, sagte Ian grimmig. »Die Russen hatten schon immer etwas gegen die britische Präsenz hier. Ein paarmal haben sie bereits vergebliche Expeditionen unternommen, um uns aus Indien zu vertreiben. Deswegen ist Zentralasien ja so wichtig. Wenn das Terrain nicht so unwegsam wäre, dann würden russische Truppen am anderen Ende des Khyber-Passes nur darauf warten, ihn zu überqueren.«
    Sie sah ihn unbehaglich an. »Glaubst du wirklich, mein Onkel könnte in so eine Sache verwickelt gewesen sein?«
    In dem Wissen, daß Laura niemals den Onkel, den sie liebte, mit seiner Arbeit in Verbindung gebracht hatte, erklärte Ian: »Es war seine Aufgabe, die russischen Interessen voranzutreiben, und er machte es verdammt gut. Ich war in erster Linie Soldat, als zweites ein ziemlich mäßiger Diplomat, aber dein Onkel war ein echter politischer Agent, der tat, was immer er konnte, um die Ziele seines Landes zu erreichen.«
    »Aber schließlich hat er offenbar bereut, was er getan hat.« Laura runzelte die Stirn, entschloß sich dann aber zu Optimismus. »Na ja, es ist drei Jahre her, daß er in Indien war. Bestimmt ist sein Plan nicht aufgegangen.«
    »Wahrscheinlich«, stimmte er zu. »Wenn ich denken würde, Dharjistan ginge in Flammen auf, würde ich dich nicht dorthin bringen, sei es der Letzte Wille eines Toten oder nicht.«
    »Dir macht es also nichts aus, Ian?« fragte sie. »Aber es würde unsere Reise nach Schottland um einiges verzögern.«
    »Bei Pjotrs Vermächtnis und den düsteren Hinweisen auf ebenso düstere Pläne können wir ja wohl gar nichts anderes tun.« Er sah wieder auf das übersetzte Tagebuch, überflog die letzten Eintragungen und lächelte bei Pjotrs Gedanken über das Paradies. Dann erreichte Ian die Stelle, in der er über seine Verletzungen und die Folter geschrieben hatte, und er versteifte sich. Gott sei Dank hatte er Pjotr darüber nichts gesagt. Was in den vier Tagen, die er außerhalb des Gefängnisses gewesen war, geschehen war, wollte er niemanden wissen lassen, ganz besonders Laura nicht. Sie sollte sich wenigstens noch ein paar Illusionen über ihn bewahren.
    Er blickte auf und sah, wie Laura ihn mit beunruhigender Intensität ansah. Da er sie nicht zu Fragen verleiten wollte, reichte er ihr die Übersetzung. »Was denkst du über den verdeckten Konflikt zwischen Rußland und England? Da du die meiste Zeit deines Lebens in England verbracht hast, würde ich darauf tippen, daß deine Loyalität den Briten gehört, aber vielleicht irre ich mich gründlich.«
    »Ich möchte nicht erleben, daß mein Vaterland

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