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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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sie ihr Kind wieder in die Arme.
    Etwas mitgenommen rief Laura sich in Erinnerung, daß das Fieber bei Babys sehr rasch kommen und gehen konnte. Wunder geschahen in anderen Zeiten und Orten, aber nicht vor den eigenen Augen. Auch nicht in Indien.
    Da hob der Sadhu den Kopf und sah sie direkt an. »He, Larissa Alexandrowna«, sagte er in fließendem Englisch, das nur einen leichten melodischen Akzent aufwies, »du glaubst nicht, was deine Augen gesehen haben?«
    Laura fiel die Kinnlade herab. Das Englisch war überraschend genug, aber es gab keine vernünftige Erklärung dafür, daß der Sadhu ihren russischen Namen kannte. Andererseits hatte er ihn soeben ausgesprochen. Schwach sagte sie: »Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
    Er winkte sie näher heran, und sie gehorchte widerstrebend. Die Dorfbewohner traten zurück. Da sie nicht wußte, was sie sagen sollte, legte sie die Hände gegeneinander und verbeugte sich.
    »Namaste, Heiliger. Du sprichst sehr gut Englisch.«
    »Ich habe viele Jahre als Beamter für den Sirkar in Kalkutta gearbeitet. Als meine Frau tot war, kam meine Zeit, mich den höheren Dingen zuzuwenden.« Die schwarzen, stechenden Augen des Mannes schienen in ihr Innerstes vorzudringen, aber sie empfand das nicht als bedrohlich.
    »Woher weißt du meinen Namen?«
    »Das Wissen ist überall um uns herum.« Er machte eine herablassende Geste. »Deinen Namen herauszubekommen, ist nichts als ein hübscher Trick. Solche Dinge sind nützlich, die Aufmerksamkeit der nicht Erleuchteten zu wecken.«
    »Warum wolltest du meine Aufmerksamkeit wecken?« fragte sie. »Ich bin nur eine Frau aus einem fremden Land und ganz gewiß nicht erleuchtet.«
    Er lächelte. »Das stimmt, doch du besitzt einen offenen Geist und ein gutes Herz. Der Beweis dafür ist, daß du nicht sofort empört davongegangen bist ob meiner primitiven Aufdringlichkeit.«
    Laura zuckte zusammen. Der Sadhu hatte diesen häßlichen Ausdruck bestimmt von einem Briten gehört. »Ich wurde erzogen, jeden Glauben zu respektieren, auch wenn ich ihn vielleicht nicht verstehe.«
    Er nickte. »Ja, dein Vater des Herzens war ein braver Mann. Hätten doch alle Briten in Indien dieses Verständnis.« Er lächelte wieder. »Ich möchte dir gerne einen ungebetenen Rat geben. Suchende wie ich sollten dergleichen nicht tun, aber leider bin ich noch viel zu irdisch. Ich werde mich in diesem Leben gewiß nicht aus dem Kreislauf befreien.«
    Laura konnte sich die Frage nicht verkneifen. »Wie lautet dein Rat?«
    »Vor dir liegt tiefe Dunkelheit. Wenn sie undurchdringlich erscheint, findest du das Licht, indem du die Wahrheit akzeptierst, die die Götter Indiens dir vor Augen halten.« Um ihren Protest abzuwehren, hob er eine Hand. »Ich will deinen christlichen Glauben nicht in Frage stellen. Du mußt dich nur für die Sichtweisen öffnen, die andere als die deiner Kindheit sind.«
    Laura dachte über seine Worte nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich fürchte, ich verstehe nicht.«
    »Du wirst verstehen, wenn es soweit ist, Larissa Alexandrowna.« Sie war entlassen, und der Sadhu wandte sich wieder den Dorfbewohnern zu.
    »Ich danke dir, Vater«, sagte sie leise, als spräche sie zu einem Priester ihrer Kirche. Sie wühlte in ihrem Täschchen und hinterließ eine großzügige Gabe in seiner Bettlerschale.
    Schließlich spazierte sie langsam zum Bungalow zurück. Ja, es gab Magie in Indien, und diese Tatsache war nicht gerade beruhigend.
    Ians richterlicher Einsatz dauerte fast drei Stunden, und als er schließlich zum Dak kam, war er müde und hungrig. Als er eintrat, kam Laura duftend und frisch gebadet in seine Arme.
    »War es ein komplizierter Fall?« fragte sie.
    »Nicht wirklich«, erwiderte Ian, als er aus ihrem seidigen Haar hervortauchte. »Die meisten Streitereien drehen sich um Frauen, Besitz oder Land, und der Fall hier war keine Ausnahme. Sie waren sich noch nicht einmal besonders uneins.«
    Laura lächelte. »Die meisten Dorfbewohner saßen dabei und sahen zu, als wäre es eine Theatervorführung.«
    »Genau, und sie gaben auch ihre Kommentare ab. Wahrscheinlich war es das spannendste Ereignis seit Monaten.« Ian legte einen Arm um ihre Taille und zog sie auf das schäbige Korbsofa. »Ein Mann namens Manoj behauptete, daß seine Frau Rithu von einem Kerl namens Kasturi entführt worden ist. Kasturi hielt dagegen, daß Rithu aus freiem Willen bei ihm lebte. Rithu bestätigte das und weigerte sich schlichtweg, zu Manoj zurückzukehren. Sie

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