Individuum und Massenschicksal
spreche von den inneren Naturgesetzen, die der Existenz zugrunde liegen. Was ihr Natur nennt, erfließt natürlich eurer speziellen Wirklichkeitserfahrung; doch sind außerhalb dieses Kontexts auch noch andere Arten des Sichtbarwerdens »natürlich«. Die Naturgesetze, die ich zu erklären im Begriff bin, liegen allen Wirklichkeiten zugrunde und schaffen die Grundlage für mannigfaltige Arten von »Natur«. Doch werde ich versuchen, diese in eure Begriffe zu übersetzen.
(Nach langer Pause:) Jedes Wesen erfährt das Leben so, als befinde es sich im Mittelpunkt des Lebens. Das gilt für die Spinne in der Besenkammer ebenso wie für jeden Mann und jede Frau. Dieses Prinzip gilt auch für jedes einzelne Atom. Das Bewußtsein in all seinen Manifestationen tritt ins Dasein, indem es sich im Mittelpunkt des Lebens geborgen fühlt - indem es das Leben durch sich selbst erfährt, indem es durch seine eigene Natur das Leben gewahrt. Es tritt ins Dasein mit einem inneren Drang zur Werterfüllung. Es ist ausgestattet mit einem Gefühl von Sicherheit, von Geborgenheit in seiner Umwelt, zu der es sich in angemessener Weise verhält. Ihm ist der Drang zu Wachstum und Handeln eingegeben, und es ist von dem Wunsch beseelt, sich seiner Welt einzuprägen.
(21.21 Uhr.) Es ist schwierig, den Begriff »Werterfüllung« zu erklären, aber er ist von großer Bedeutung. Offensichtlich hat er mit der Entwicklung von Werten zu tun - nicht mit moralischen Werten, sondern mit Werten, für die euch wirklich die angemessenen Worte fehlen. Bei diesen Werten geht es schlechthin um die Steigerung der Lebensqualität, die das Wesen in seinem Innersten wahrnimmt. Die Qualität eines Lebens soll beispielsweise nicht einfach erlebt und weitergegeben werden, vielmehr soll in schöpferischer Weise zu ihr beigetragen werden, soll sie vervielfacht werden auf eine Weise, die mit Quantität nichts zu tun hat.
In diesem Sinne haben Tiere ein Gespür für Werte, und wenn ihre Lebensqualität so absinkt, daß das Leben unerträglich und nicht mehr lebenswert ist, geht die Gattung ein. Ich spreche nicht vom Überleben des Stärkeren, sondern (eindringlich) von der Fortdauer sinnerfüllten Lebens.
Das Leben ist Sinn für die Tierwelt. Eines ist vom anderen nicht zu trennen. (Pause.)
So will es zum Beispiel recht wenig besagen, wenn ihr feststellt, daß Spinnen instinktiv Netze weben, weil Spinnen Insekten fressen müssen, und daß die beste Netzweberin die überlebensfähigste Spinnenart sein wird. (Lange Pause, dann humorvoll:) Es ist gar nicht so einfach für mich, dem klebrigen Gespinst eurer Glaubensüberzeugungen zu entkommen. Jedenfalls stellt das Netz der Spinne auf seine Weise ein verwirklichtes und - wenn ihr mir den Ausdruck verzeiht - auch ein künstlerisches Ideal der Spinne dar. (Lauter:) Es setzt die Spinnen in Erstaunen, daß die Fliegen freundlicherweise in diese Netze einfallen.
Man könnte sagen, die Spinne wundere sich, daß Kunst so praktisch sein kann.
(Nach einer Pause um 21.30 Uhr:) Und was ist mit der armen, nichtsahnenden Fliege? Ist sie denn so vernarrt in das Spinnennetz, daß sie alle Vorsicht vergißt? (Flüsternd und trocken:) Denn freilich sind Fliegen die Opfer solcher verderbenbringender Wundergespinste. Wir haben es hier wirklich mit klebrigem Zeug zu tun.
(Noch immer in Trance schenkte Jane sich etwas Wein ein.) Zunächst einmal handelt es sich hier um
Bewußtseinswirklichkeiten, die anders sind als die euren. Es sind in einem Brennpunkt gesammelte Bewußtseinsausprägungen, deren jede sich im Mittelpunkt des Lebens fühlt; gleichzeitig jedoch identifizieren sie sich auch mit dem Ursprung der Natur, aus dem sie hervorgehen.
Zwischen Fliege und Spinne waltet ein Zusammenhang, der sich jedem Erklärungsversuch entzieht, und beide sind dieses Zusammenhanges gewahr - nicht als Jäger und Beute, sondern als individuelle Teilnehmer an natürlichen Vorgängen, die einen tieferen Sinn haben. Beide sind Mitwirkende an einem gemeinschaftlichen Plan der Werterfüllung, in welchem beide Erfüllung finden. (Pause.)
Es gibt eine Bewußtseinskommunikation, die eure Wahrnehmung entgeht. Und während ihr an Theorien wie derjenigen vom Überleben des Stärkeren und an der großen Phantasmagorie der Evolution hängt, stellt ihr die Inhalte eurer selektiv eingeschränkten Wahrnehmung der Welt in einer Weise zusammen, die solche Theorien zu bestätigen scheint. So werdet ihr beispielsweise dem im Labor hingeopferten Leben einer Maus keinen
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