Individuum und Massenschicksal
der Krankheit?«
Meine Fragen waren durch einen Artikel hervorgerufen worden, den ich vor ein paar Tagen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift gelesen hatte; die Autoren erklärten darin, daß eine signifikante Anzahl von Frauen infolge Kontakts mit dem Sperma von Männern, die sich nicht einer Vasektomie unterzogen haben oder, anders gesagt, nicht sterilisiert sind, Brustkrebs entwickeln kann. Ich fand, wie ich Jane gegenüber bemerkte, den ganzen Sachverhalt und den Gedanken, daß männliche Vertreter unserer Gattung den weiblichen möglicherweise Krebs übertragen könnten, äußerst seltsam. Wir hatten übrigens schon früher von dieser Theorie gehört; jedenfalls müßte eine Übertragung von Krebs auf diesem Wege als eine der verhängnisvollsten Folgen betrachtet werden, die sich aus der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau ergeben könnten. Wir waren daher äußerst gespannt, wie Seth die ganze Sache erklären würde, und er gab uns tatsächlich ausgezeichnete Informationen dazu. »Den ironischen Möglichkeiten in unseren Glaubenssystemen sind keine Grenzen gesetzt«, sagte ich zu Jane. »Was, wenn die Forscher als nächstes herausfinden, daß die Partnerin, also die Frau, ihrerseits in irgendeiner bisher unvermuteten Weise ihrem Partner ein krebserzeugendes Virus übertragen kann?«
Es war an diesem Abend etwas kühler als sonst. Jane war ziemlich still, als wir auf Seth warteten. »All diese Fragen«, sagte sie, als ich sie auf ihr Schweigen hin ansprach, »all diese Dinge, die ich beantworten soll... ich glaube, ich bin ins Brüten gekommen, weil ich in die Falle gegangen bin, von der Seth spricht: zu denken, daß ich die Welt retten muß...«
Daraufhin mußten wir beide lachen. Wir kamen überein, daß es da gar nichts zu retten gibt. Die Welt muß nicht gerettet werden. Sie ist durchaus imstande zu überleben, auch wenn sie eine so ungebärdige Spezies wie den Menschen beherbergt. Schließlich, so sagte ich, stelle der Mensch nur eine einzelne Gattung dar, die ihr Sein der lebendigen Erde im Zusammenspiel mit fast unzähligen anderen Gattungen erschafft, und jede Gattung tue von ihrem Gesichtspunkt aus dasselbe. Nicht einmal durch seine destruktiven Verhaltensweisen, erklärte ich, könne der Mensch diese gemeinsame Wirklichkeit in größerem Ausmaß verletzen, ungeachtet solcher potentiellen Fiaskos wie dem von Three Mile Island oder selbst eines Atomkriegs. Insbesondere erinnerte ich Jane an Seths in der 865sten, nicht für das Buch bestimmten Sitzung vom Montag letzter Woche getroffenen Feststellung:
»Glücklicherweise ist die Macht konstruktiven Denkens und Handelns tatsächlich maßgebend in der Natur und in eurer Welt.
Andernfalls würdet ihr nicht existieren. Die gemeinschaftlichen Projekte und die kooperativen Unternehmungen biologischer, sozialer, wirtschaftlicher, politischer, künstlerischer und spiritueller Natur, die sich kreuz und quer durch diesen Landkreis von Elmira ziehen, sind einfach phantastisch. Diese Zusammenarbeit vollzieht sich weitgehend unbemerkt, doch hat sie ihre sichere Grundlage in der Stabilität, die ein Kennzeichen allen Lebens ist. Punkt.«)
(21.04 Uhr.) Diktat. (Pause.)
Jede Gattung ist mit Gefühlen und Empfindungen ausgestattet, die in ein inneres System der Werterfüllung eingebettet sind. Jede Gattung ist demnach nicht nur an ihrem körperlichen Überleben und der Vermehrung ihrer Einzelexemplare interessiert, sondern auch an der Vertiefung und Entfaltung derjenigen besonderen Anlagen und Eigentümlichkeiten, die für sie kennzeichnend sind.
Was nun diese Erörterung betrifft, so ist zu sagen: Es gibt biologische Ideale, die den Chromosomen eingeprägt sind, aber es gibt auch Ideale, die viel schwieriger zu definieren sind und die gewissermaßen als geistig-seelische Blaupausen für die Entwicklung noch ganz anderer Veranlagungen vorhanden sind. Ich verwende hier das Wort geistig-seelisch in dem wörtlich zu nehmenden Sinn, daß alle Gattungen auch ihre eigenen geistig-seelischen Komponenten haben, im Unterschied zu den euch wohlbekannten physischen Eigentümlichkeiten der Tiere und Pflanzen. Eure herrschenden Meinungen machen euch blind für jeglichen Hinweis auf das tatsächliche Zusammenwirken, das zwischen allen Gattungen besteht. Ich spreche auch nicht von einem zwangsweisen Miteinander - als Resultat eines »Instinkts«, der irgendwie die sozialen Gewohnheiten der Tiere steuert -, denn ihre Gewohnheiten sind sozial und kooperativ.
Ruburt war
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