Individuum und Massenschicksal
kürzlich entsetzt zu lesen, daß orthodoxe Wissenschaftler dem Menschen noch immer den freien Willen absprechen. Ihren Anschauungen zufolge ist jegliches Gefühl bewußter Entscheidung in Wirklichkeit die Widerspiegelung der jeweiligen Einstellung des Gehirns. Ich jedoch sage, daß der Mensch im Rahmen seiner Existenz Willensfreiheit hat, (in Sperrschrift) wie auch alle anderen Gattungen Willensfreiheit haben im Rahmen ihrer Existenz.
Das Huhn kann kein Buch lesen. Es kann zu lesen nicht beschließen. Die Pflanze kann nicht beschließen, die Straße hinabzuschlendern. Doch können das Huhn und die Pflanze zu leben oder zu sterben beschließen - ziemlich bedeutende Entscheidungen für jedes Lebewesen. Sie können sich dafür entscheiden, ihre Umwelt zu mögen oder nicht zu mögen und sie ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend zu verändern. Es ist in Mode zu sagen, daß sich diese und jene wissenschaftlichen Gesetze auf der mikroskopischen Ebene beweisen lassen, indem man beispielsweise einzelne Partikel weit über den Normalzustand hinaus beschleunigt. Aber ihr ignoriert absichtlich, daß es auch auf der mikroskopischen Ebene Gefühle gibt, und schon gar nicht kommt ihr natürlich zu dem Schluß, daß alle Partikel psychische Partikel mit ihrem ihnen eigenen Streben nach Weiterentwicklung und Werterfüllung sind. Deshalb gehen die Atome Verbindungen miteinander ein, um Materie zu bilden. Sie suchen die Erfüllung ihrer selbst durch Form. Gemeinschaftlich wählen sie die Formen, die sie annehmen werden.
(21.23 Uhr.) Wenn schon der einfachste Partikel mit solchem Streben begabt ist und Ideale in sich birgt, die nach Erfüllung suchen, wie sollte es dann um den Menschen anders bestellt sein? Ihr seid darauf angelegt, Sinn, Gemeinsamkeit und Liebe zu suchen. Ihr seid darauf angelegt, brillante geistig-seelische und materielle Schöpfungen in Form eurer Künste und Wissenschaften, Religionen und Zivilisationen hervorzubringen. Und selbst die Fehler und groben Entstellungen, die euch dabei unterlaufen sind, selbst sie sind durch euer Bedürfnis entstanden, in eurer persönlichen Existenz und im Leben selbst Sinn zu finden.
Wenn ein Wissenschaftler glaubt, daß das Leben keinen Sinn habe, dann hat er sich einfach mit einer Ideologie gewappnet, die ihm einen zuverlässigen Schutz gegen die Wechselfälle des Lebens zu bieten scheint. Wenn er sagt, das Leben habe keinen Sinn, dann kann er gegebenenfalls nicht enttäuscht werden, denn (sehr eindringlich) er hat sich häuslich eingerichtet in einem selbstgesponnenen Kokon, der freilich einen Sinn hat, da er ihn vor seinen tiefsten Ängsten absichert.
Eine Zivilisation, die der Kreativität keinen Spielraum gibt, gefährdet ihren eigenen Bestand. Eine Nation, die begabten Menschen mit Mißtrauen begegnet, statt sie zu fördern, befindet sich, gelinde gesagt, in Schwierigkeiten. Eure Psychologen, die den Akzent auf die »
Norm« legen, bringen die Menschen dazu, sich vor ihren individuellen Besonderheiten und Begabungen zu fürchten, weil die Norm der Psychologie schon bloß mit den Konturen der Psyche auch nicht eines einzigen Menschen übereinstimmt. Sie reicht weder an die Höhen noch an die Tiefen menschlicher Erfahrung. Und so bekommen die Menschen Angst vor ihrer eigenen Identität.
Ruburt las heute einen Artikel über begabte Kinder, ihren Hintergrund und ihre Entwicklung. Begabte Kinder passen nicht in das Bild der Psychologie. Begabte Kinder passen nicht in das Bild vom Kind, wie es den Eltern verkauft wird. In Wirklichkeit kommt bei begabten Kindern all die Aufmerksamkeit, geistige Regsamkeit, Wißbegier und Lernfähigkeit zum Vorschein, die aus mancherlei Gründen bei der Mehrheit der Menschen latent bleiben, jedoch der Gattung eingeboren sind. Die Begabten sind keineswegs exzentrische, die Norm sprengende Versionen des Menschen, vielmehr liefern sie einen Hinweis auf seine wahren Fähigkeiten. (Pause.)
Eure Gehirne sind nicht leer, sondern gut »geölte Maschinen«, bereit, bei eurer Geburt in wirbelnde Aktivität zu treten. Sie sind ausgestattet mit der Neigung zu lernen, und (eindringlich) die Rudimente des Wissens, wie ihr es versteht, sind dem Gehirn eingegeben. In diesem Sinne denkt auch das Gehirn schon vor der Geburt. Es reagiert nicht bloß.
Jedes Individuum hat seine eigenen einzigartigen Fähigkeiten. Für manche dieser Fähigkeiten, die sich auf den Umgang mit anderen beziehen, habt ihr nicht einmal Bezeichnungen. Eltern nun neigen leicht
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