Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
seines prächtigenGefolges unter einem weißen Zeltdach, inmitten von Blumen und Obstbäumen, die in Kübeln aus edlen Metallen wuchsen, und zwischen Becken mit dampfendem Wasser, in denen sich Hunderte Prinzessinnen und Schwärme von Kindern tummelten. Der Inka war hinter einem Vorhang verborgen, denn niemandem war gestattet, sein Gesicht zu erblicken, doch die Neugier siegte über das Protokoll, und Atahualpa ließ den Vorhang entfernen, um sich den bärtigen Fremden anzusehen. Der Hauptmann fand sich einem noch jungen Monarchen von angenehmem Antlitz gegenüber, der unter einem Baldachin aus Papageienfedern auf einem Thron aus purem Gold saß. Die Umstände mochten befremdlich sein, und doch waren sich der spanische Soldat und der adlige Quechuaindianer auf den ersten Blick gewogen. Atahualpa ließ für die kleine Schar seiner Gäste ein Bankett auftragen. Die Schalen und Teller waren aus Gold und Silber, Amethyste und Smaragde waren darin eingearbeitet. Nicht ohne Beklommenheit übermittelte der Hauptmann dem Inka Pizarros Einladung, wußte er doch, daß es ein strategischer Schachzug war, um den Monarchen in eine Falle zu locken und gefangenzunehmen, wie es die Konquistadoren in vergleichbaren Fällen schon oft getan hatten. Aber diese Eingeborenen waren anders, sie nötigten ihm Respekt ab, hatten nichts von Wilden, ja sie wirkten kultivierter als manches Volk in Europa. Offenbar besaßen sie weitreichende Kenntnis über Astronomie und hatten einen Kalender nach dem Lauf der Sonne entwickelt; auch schienen sie im Bilde über die unermeßliche Zahl ihrer Untertanen und verfügten in ihrem riesigen Reich über eine vorbildliche militärische und gesellschaftliche Ordnung. Und doch kannten sie keine Schrift, ihre Waffen waren primitiv, sie benutzten das Rad nicht, besaßen keine Reittiere und nur eine Art langbeinige Schafe mit Augen wie Bräute, die für Lasten kaum taugten und die sie »Lamas« nannten. Sie beteten die Sonne an, und nur wenn großes Ungemachdrohte, der Inka erkrankte oder das Kriegsglück ihn verließ, mußten ihr Jungfrauen oder Kinder geopfert werden. Von falschen Freundschaftsversprechen hinters Licht geführt, zog der Inka mit seinem weitläufigen Hofstaat unbewaffnet in die Stadt Cajamarca, wo Pizarro einen Hinterhalt vorbereitet hatte. Atahualpa wurde von seinen Dienern in einer goldenen Sänfte getragen; ihm folgte ein Schwarm bildhübscher Gespielinnen. Die Spanier richteten ein Blutbad an unter den unzähligen Mitgliedern des Gefolges, die den Inka mit ihren Leibern zu schützen versuchten, und nahmen Atahualpa gefangen.
»Hier redet man von nichts anderem als von den Schätzen Perus. Die Kunde hat sich verbreitet wie ein Fieber, und halb Europa scheint davon angesteckt. Sagt, stimmt es, was man hört?« wollte Valdivia wissen.
»Es stimmt, auch wenn es unfaßbar scheint. Für seine Freiheit bot der Inka an, daß er einen Raum von zweiundzwanzig Fuß Länge, siebzehn Fuß Breite und neun Fuß Höhe mit Gold füllen würde.«
»Das ist doch unmöglich aufzubringen!«
»Es ist das höchste Lösegeld, das je gezahlt wurde. Man brachte es in Form von Schmuck, Statuen und Gefäßen, doch wurde alles zu Barren geschmolzen und mit dem Siegel des spanischen Königs versehen. Es half Atahualpa nichts, daß seine Untertanen noch aus den abgelegensten Orten des Reichs wie emsige Ameisen ein solches Vermögen herbeischafften. Nach neun Monaten Gefangenschaft verurteilte Pizarro den Inka zum Feuertod. Im letzten Moment änderte er seine Entscheidung zugunsten einer weniger grausamen Todesart, weil der Inka einwilligte, sich taufen zu lassen. Er starb durch die Würgschraube.« Pizarro habe vermeintlich gute Gründe für seine Entscheidung gehabt, sagte Alderete, weil der Gefangene von seinem Verlies aus angeblich einen Aufstand vorbereitete. Die Späher sprachen von zweihunderttausend Quechuas aus der Gegendum Quito, die sich zusammen mit dreißigtausend Cariben, die Menschenfleisch aßen, anschickten, gegen die Konquistadoren in Cajamarca zu ziehen, aber der Tod des Inkas zwang sie zur Aufgabe. Erst später erfuhr man, daß es diese riesige Streitmacht nie gegeben hatte.
»Dennoch ist kaum zu erklären, wie eine Handvoll Spanier diese, wie Ihr sagt, hochentwickelte Kultur hat besiegen können. Wir sprechen von einem Gebiet, das größer ist als Europa«, gab Pedro de Valdivia zu bedenken.
»Gewiß, das Reich war sehr groß, aber noch jung und nicht gefestigt. Als Pizarro kam, hatte es erst
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