Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
sollte, richtete ich als erstes einen Altar für unsere Señora del Socorro ein.
»Es ist sehr mutig, daß Ihr diese Reise unternehmt, Doña Inés. Wo erwartet Euch Euer Mann?« wollte Kapitän Manuel Martín wissen.
»Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht, Kapitän.«
»Wie? Ist er denn nicht in Neugranada?«
»Sein letzter Brief kam aus einem Ort, der Coro genannt wird, in Venezuela, aber seither ist einige Zeit vergangen, und womöglich ist er nicht mehr dort.«
»Die Neuen Indien sind größer als die übrige bekannte Welt. Es wird nicht leicht sein, Euren Mann zu finden.«
»So lange werde ich ihn suchen.«
»Wie wollt Ihr das anstellen, Verehrteste?«
»Indem ich mich durchfrage, was bleibt mir übrig …«
»Na, dann, viel Glück. Für mich ist es das erste Mal, daß ich Frauen an Bord habe. Ich möchte Euch und Eure Nichte bitten, daß Ihr Euch in Zurückhaltung übt.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ihr beide seid jung und nicht häßlich anzusehen. Gewiß werdet Ihr erraten, was ich damit sagen will. Nach einer Woche auf hoher See werden die Matrosen sich nach einer Frau sehnen, und da zwei an Bord sind, ist die Versuchung groß. Außerdem glauben die Seeleute, Weibsvolk an Bord locke Stürme und anderes Ungemach an. Zu Eurem Besten und zu meiner Beruhigung wäre es mir lieb, wenn Ihr Euch von meinen Männern fernhieltet.«
Der Kapitän war ein untersetzter, bulliger Galicier mit kurzen Beinen, einer gewaltigen Nase, Nagetieräuglein und ledriger Haut, gegerbt von Salzluft und Sonne. Mit dreizehn hatte er als Schiffsjunge angeheuert, und die Jahre, die er seither an Land verbracht hatte, ließen sich an einer Hand abzählen. Sein rauhes Äußeres deutete in nichts auf seine höflichen Manieren und seine Herzensgüte hin, die sich später erweisen sollte, als er mir in einem Moment größter Bedrängnis beistand.
Es ist ein Jammer, daß ich damals nicht schreiben konnte, denn sicher hätte ich begonnen, mir Notizen zu machen. Zwar ahnte ich nicht, daß mein Leben einer Schilderung wert sein würde, aber diese Reise hätte in allen Einzelheiten festgehalten werden sollen, da erst so wenige Menschen die salzige Weite des Ozeans überquert haben, diese bleiernen Wasser, die von verborgenem Leben brodeln, ein einziger Überfluß und Schrecken, Gischt, Wind und Einsamkeit. In diesem Bericht, der viele Jahre nach den Ereignissen entsteht, möchte ich mich möglichst treu an die Wahrheit halten, doch die Erinnerung folgt stets ihren Launen undmischt Erlebtes mit Ersehntem und Vorgestelltem. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Einbildung ist zart und in meinem Alter schon ohne Belang, da ich allein noch Zeugnis zu geben vermag. Auch ist das Erinnern gefärbt von Eitelkeiten. Der Engel des Todes sitzt wartend auf einem Stuhl neben meinem Schreibpult, und ich bin noch selbstverliebt genug, meine Wangen mit Rouge aufzufrischen, wenn Besuch kommt, und meine Geschichte niederzuschreiben. Was wäre eitler, als das eigene Leben zu erzählen?
Ich hatte nie zuvor das Meer gesehen; ich glaubte, es sei wie ein breiter Fluß, hatte indes nie einen Gedanken daran verschwendet, daß man das gegenüberliegende Ufer nicht sehen konnte. Ich verkniff mir jede Bemerkung darüber, um meine Unwissenheit zu überspielen und auch die Angst, die mich bis auf die Knochen frösteln machte, als das Schiff auf die offene See hinausfuhr und zu schwanken begann. Wir waren sieben Passagiere, und bis auf Constanza, die einen ehernen Magen besaß, wurden alle seekrank. Ich fühlte mich so elend, daß ich Kapitän Martín am zweiten Tag bat, mich in einem Ruderboot zurück nach Spanien zu schicken. Er lachte dröhnend und nötigte mir eine Pinte Rum auf, die so freundlich war, mich in andere Sphären zu versetzen, und nach dreißig Stunden kam ich, grün im Gesicht und abgezehrt, wieder zu mir und konnte sogar etwas Brühe trinken, die meine reizende Nichte mir mit dem Löffel einflößte. Das Festland war außer Sicht und unser Schiff auf dem dunklen Wasser, unter einem grenzenlosen Himmel, von allen guten Geistern verlassen. Ich konnte nicht begreifen, wie der Steuermann mit seinem Astrolabium und den Gestirnen den Weg fand, wo doch nichts ringsum einen Anhaltspunkt bot. Ich dürfe beruhigt sein, versicherte er mir, diese Reise habe er schon oft unternommen und die Route sei Spaniern und Portugiesen, die sie seit Jahrzehnten befuhren, hinlänglich bekannt. Auch seien dieSeekarten längst keine gut gehüteten Geheimnisse mehr,
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