Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
sollten diese gen Sonnenaufgang oderSonnenuntergang liegen; im Falle aber, daß ihr an den Ufern eines Flusses baut, legt die Siedlung dergestalt an, daß die Sonne zunächst die Häuser und dann das Wasser bescheint.« Offenbar waren die Eingeborenen der Gegend völlig einer Meinung mit Karl, denn die Bevölkerung war hier zahlreich, wir sahen Dörfer, viele Pflanzungen, Bewässerungskanäle, Gräben und Wege. Wir waren nicht die ersten, die die Vorzüge des Tals entdeckten.
Die Hauptleute Villagra und Aguirre ritten mit einer kleinen Schar voraus, um die Reaktion der Eingeborenen zu erkunden, während wir übrigen in sicherer Deckung blieben. Mit froher Neuigkeit kehrten sie zurück, hatten die Indios, wiewohl mißtrauisch, doch keine Feindseligkeit erkennen lassen. Sie berichteten, auch dieses Tal habe zum Hoheitsbereich der Inkas gehört, und deren Vertreter, der Kazike Vitacura, dem das Gebiet unterstand, hatte sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt, da er wußte, daß in Peru jetzt die bärtigen Viracochas das Sagen hatten. »Vertraut ihnen nicht, sie sind hinterhältig und kriegslüstern«, beharrte Don Benito, aber die Entscheidung, uns in diesem Tal niederzulassen, war bereits gefallen, selbst wenn wir die Einheimischen mit Gewalt würden unterwerfen müssen. Daß hier seit Generationen gesiedelt und gesät wurde, war den hitzköpfigen Eroberern nur Ansporn, zeugte es doch von der Gewogenheit von Erde und Klima. Villagra schätzte die Zahl der Menschen in den Weilern, die er gesehen und die wir erahnen konnten, auf etwa zehntausend, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Kein Grund zur Beunruhigung, sagte er, sofern die Streitmacht des Michimalonko sich nicht erneut blicken ließe. Was mögen die Bewohner des Tals empfunden haben, als sie uns sahen, und was, als ihnen klar wurde, daß wir zu bleiben gedachten?
Im Februar 1541, dreizehn Monate nach unserem Aufbruch in Cuzco, pflanzte Pedro de Valdivia die Standarte Kastiliens am Fuße des Hügels Huelén auf, der inErinnerung an die Märtyrerin fortan Santa-Lucía-Hügel heißen sollte, und nahm das Land im Namen seiner Majestät in Besitz. Hier würde er seine Stadt gründen und sie zu Ehren des heiligen Jakob Santiago de la Nueva Extremadura nennen. Nachdem wir die Messe gehört und die Kommunion empfangen hatten, schritten wir nach altem lateinischem Brauch den Umriß der Stadt ab. Da wir kein Ochsengespann besaßen, spannten wir Pferde vor den Pflug. In einer langsamen Prozession folgten wir dem Bildnis der Jungfrau. Valdivia war so bewegt, daß ihm Tränen über die Wangen liefen, aber er war nicht der einzige, die Hälfte dieser wakkeren Streiter weinte.
Zwei Wochen später legte unser Baumeister, ein Einäugiger mit Namen Gamboa, den Grundriß der Stadt fest, wie es in der Neuen Welt üblich war. Zunächst steckte er den Hauptplatz ab und den Ort für den Gerichtsbaum oder Richtplatz. Von dort markierte er schnurgerade im Abstand von hundertachtunddreißig Ellen den Verlauf paralleler Straßen, die ihrerseits im rechten Winkel und gleichen Abstand von Querstraßen gekreuzt wurden, so daß achtzig Karrees entstanden, mit je vier zu bebauenden Grundstükken. Die ersten Pfähle wurden an der Stirnseite des Platzes für die Kirche in den Boden gerammt.
»Eines Tages wird hier statt einer bescheidenen Kapelle eine Kathedrale stehen«, versprach González de Marmolejo, dem vor Rührung die Stimme bebte.
Pedro reservierte für uns das Karree an der Nordseite des Platzes und verteilte die restlichen Grundstücke nach Maßgabe von Rang und Treue an seine Hauptleute und Soldaten. Mit unseren Yanaconas und einigen Indios aus dem Tal, die freiwillig ihre Hilfe angeboten hatten, begannen wir die ersten Häuser aus Holz und Lehmziegeln zu errichten, mit Dächern aus Stroh, bis wir Dachziegel würden herstellen können, und mit dicken Mauern und schmalen Fenstern und Türen, damit sie im Falle eines Angriffs Schutz bötenund die Temperatur im Innern angenehm wäre. Der Sommer war, soviel wußten wir jetzt, heiß, trocken und der Gesundheit zuträglich. Der Winter würde kalt und regnerisch sein, das hatte man uns gesagt. Der einäugige Gamboa kümmerte sich mit seinen Helfern um die Anlage der Straßen, während andere Spanier kleine Bautrupps für die Gebäude leiteten. Von früh bis spät wurden die Essen befeuert, um Nägel, Scharniere, Schlösser, Nieten und Winkelhaken zu schmieden; Hämmer und Sägen schwiegen nur bei Dunkelheit und wenn es Zeit für
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