Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
bewahrt worden sei und die Mühen für einen Mann wohlbeschwerlich, für eine schwache Frau jedoch weit ärger gewesen seien. Von schwach konnte zwar die Rede nicht sein, aber niemand stellte seine Entscheidung offen in Frage. Sancho de la Hoz bediente sich ihrer allerdings, um den Groll der Aufsässigen zu schüren. Ich stellte mir vor, wie diese nur auf dem Papier vorhandenen Güter, so sie je Wirklichkeit würden, mich, eine kleine Näherin aus der Extremadura, zu einer der reichsten Landbesitzer Chiles machen würden. Wie hätte sich meine Mutter darüber gefreut!
In den folgenden Monaten wuchs die Stadt aus dem Boden, daß es eine Wonne war. Als der Sommer sich neigte, standen schon einige ansehnliche Häuser, wir hatten Baumreihen gepflanzt, damit die Straßen schattig wären und von Vögeln belebt, in den Gärten konnte das erste Gemüse geerntet werden, die Tiere waren gesund, und wir konnten Vorräte für den Winter einlagern. Unser Wohlergehen brachte die Bewohner des Tals gegen uns auf, war es doch ein sicheres Zeichen, daß wir nicht nur vorübergehend hierbleiben wollten. Sie ahnten, und zu Recht, daß mehr Huincas kommen, sie ihres Landes berauben und sie zu Knechten machen würden. Während wir uns für unser Bleiben im Tal wappneten, wappneten sie sich dafür, uns davonzujagen. Noch bekamen wir unsere Widersacher nicht zu Gesicht, aber wir vernahmen die ersten Rufe ihrer Flöten, düster die langen, aus Rohr gefertigten Trutucas, hell die Pillois, die sie aus den Oberschenkelknochen ihrer getöteten Feinde schnitzen. Die Krieger gingen uns vorsichtig aus dem Weg; rund um Santiago sah man nur Alte, Frauen und Kinder, aber wir waren auf der Hut. Wenn man Don Benito glauben wollte, hatte Vitacura uns einzig deshalb besucht, um die Stärke unserer Streitmacht herauszufinden, und gewiß war er trotz des pompösen Aufmarschs, den wir ihm geboten hatten, wenig beeindruckt gewesen. Vermutlich hatte er auf dem Heimweg Tränen gelacht, als er sich unsere kümmerliche Schar gegen die Tausende vonChilenen vorstellte, die in den Wäldern ringsum lauerten. Er war ein Quechua aus Peru, ein Repräsentant der Inkas, und er würde den Teufel tun, sich in den Zank zwischen Huincas und Promaucas einzumischen, wie die aufrührerischen Chilenen bei den Quechuas hießen. Sollte es zum Krieg kommen, würde er der lachende Dritte sein. Trübe Wasser, fette Fische, sagt man in Plasencia.
Zusammen mit Catalina trieb ich Handel mit den Siedlungen in der Nachbarschaft. Wir verständigten uns mit Zeichen und einigen Wörtern auf quechua und bekamen für Flitterkram aus den Tiefen meiner Truhen und für unsere Dienste als Heilerinnen Geflügel und Guanakos, lamaähnliche Tiere, die gute Wolle geben. Wir waren geschickt darin, gebrochene Knochen zu richten, Wunden auszubrennen und bei Geburten zu helfen; das kam uns zugute. In den Hüttendörfern lernte ich zwei Machis kennen, Heilerinnen, die sich mit Catalina über Kräuter und Beschwörungen austauschten und uns die Wirkung der chilenischen Pflanzen erklärten, die verschieden sind von denen in Peru.
Die anderen »Ärzte« im Tal waren Hexer, die unter großem Getöse Gewürm aus den Bäuchen der Kranken entfernten; sie führten kleine Opferrituale durch und versetzten die Patienten mit ihren mimischen Auftritten in Angst und Schrecken, was zuweilen beachtliche Heilungserfolge zeitigte, wie ich selbst feststellen durfte. Als alle sonstigen Mittel nichts fruchten wollten, »operierte« Catalina, die in Cuzco mit einem dieser sogenannten Camascas gearbeitet hatte, unseren alten Oberfeldmeister Don Benito. In aller Heimlichkeit schafften wir ihn mit Hilfe von zwei verschwiegenen Dienerinnen aus Cecilias Gefolge in den Wald, wo Catalina die Zeremonienmeisterin gab. Erst verwirrte sie Don Benitos Sinn mit einem Gebräu aus Kräutern und nebelte ihn mit Rauch ein, dann knetete sie die Wunde an seinem Oberschenkel, die nicht hatte verheilen wollen.
Bis an sein Lebensende sollte Don Benito jedem, derihm sein Ohr lieh, davon berichten, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie Echsen und Schlangen aus seiner Wunde gezogen wurden, die ihm das Bein vergiftet hatten, und danach sei er vollständig genesen. Das Bein blieb steif, wohl wahr, aber er starb nicht am Wundbrand, wie wir befürchtet hatten. Ich hielt es nicht für nötig, ihm zu erzählen, daß Catalina die toten Kriechtiere aus ihren Hemdsärmeln gezogen hatte. »Wer durch Zauber heilen kann, der wende ihn an«, sagte
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