Ines oeffnet die Tuer
sich, wer Ines diese tolle Frisur gemacht hatte, und die Jungs sahen sie länger an als sonst. Und Karol konnte seine Augen gar nicht mehr von ihr abwenden. Ihre Begegnung im Jugendklub hatte wohl mächtig Eindruck auf ihn gemacht.
»Also gut, es ist keine Perücke«, sagte Sonja, als sie kurz vor Unterrichtsbeginn ins Klassenzimmer kam und sich ohne jeden Gruà neben Ines setzte. »Aber warum verrätst du mir nicht, wie du das gemacht hast? Ich dachte, wir sind Freundinnen.«
Ich darf es dir nicht sagen, dachte Ines traurig. Sie überlegte fieberhaft, welche Lüge sie Sonja auftischen sollte. Denn dass die keine Ruhe geben würde, war klar.
Die erste Stunde begann: Mathe bei Frau Wunder. Sie war die Einzige, die sich von der Veränderung nicht beeindrucken lieÃ. Wenn sie Ines aufrief, tat sie es mit derselben Unfreundlichkeit wie eh und je. Nur am Ende der Stunde machte sie eine spitze Bemerkung, als Ines für einen Augenblick abwesend mit ihren Locken spielte.
»Ines Larik, wenn du glaubst, dass du in Mathematik alles weiÃt und deshalb nicht aufpassen musst, irrst du dich.«
»Aber ich habe doch nur â¦Â«
»Halt dich mal nicht für die nächste Schönheitskönigin«, unterbrach Frau Wunder sie mit ihrer Märchenfeestimme. »Schau lieber in dein Buch.«
Ines gehorchte â und ebenso Karol, der die ganze Zeit verstohlen zu Ines herübergeblickt hatte.
Â
In der groÃen Pause sprach er sie an.
»Wie hat es dir denn gestern gefallen im Jugendklub? Also ⦠die Band, meine ich.«
Ines, die sich gerade mit ihren Freundinnen unterhalten hatte, wandte sich zu ihm um. »Ganz gut. Du könntest Anfisa mal fragen, ob ihr Bruder eine Aufnahme hat. Oder ein paar Musiktipps. Ich kenne mich mit dieser Musik gar nicht aus.«
»Ich höre eigentlich auch eher normale Sachen«, sagte Karol rasch. »Aber man muss offen sein für Neues, oder?«
Sie quatschten noch eine Weile über Bands, die sie gut fanden. Ines gestand, dass sie ein groÃer Fan von Miranda Kersh war, und er erzählte von einem Rockkonzert, auf das sein älterer Cousin ihn mitgenommen hatte. Bald war die Pause vorbei. Ines war ganz erstaunt, wie normal sie sich mit Karol unterhalten hatte â ohne nervös zu sein oder albern zu kichern. Vor allem spürte sie, dass er echtes Interesse an ihr hatte.
Â
Aber da gab es etwas, das ihr im Lauf des Tages immer mehr zu denken gab, das im Verborgenen an ihr nagte und sie bis zum Abend nicht loslassen wollte.
Es war eine der vier Regeln, von denen Agnes gesprochen hatte â¦
17.
»Ines, Telefon für dich.«
Ines blickte vom Sofa auf. Veith hatte die Tür ihres Zimmers einen Spaltbreit geöffnet und hielt ihr das schnurlose Telefon hin.
»Es ist Agnes. Sie will dich sprechen.«
Ines lieà die Zeitschrift sinken, in der sie gerade gelesen hatte.
»Agnes? Warum ruft sie mich nicht auf dem Handy an?«
»Das musst du sie selbst fragen. Aber es scheint wichtig zu sein. Sie hat mir ganz merkwürdige Fragen über dich gestellt â ob es dir gut ginge, ob du dich in den letzten Tage verändert hättest ⦠Sie hat mich geradezu gedrängt, den Hörer sofort weiterzugeben.«
Ines stand vom Sofa auf, nahm das Telefon in Empfang und wartete, bis ihr Vater die Tür geschlossen hatte. Dann hielt sie den Hörer ans Ohr.
»Oma?«
In der Leitung knisterte es.
»Ines! Endlich erreiche ich dich.«
Sehr witzig, dachte Ines. Wer ist denn die ganze Zeit nicht ans Telefon gegangen? Ich habe es oft genug probiert.
»Geht es dir gut, mein Schatz?«
Ines spielte mit ihren Locken. »Geht so«, log sie. »Und bei dir? Alles in Ordnung auf dem Land?«
Eine unangenehme Pause entstand. Ines wagte nicht, das Gespräch wieder aufzunehmen.
Sie blickte zur Wand. Die Tür des Refugiums hatte ihren alten Platz eingenommen. Aber diesmal stand sie einen Spaltbreit offen.
»Ines, du musst sie zurückbringen!«
Sie wusste sofort, was Agnes meinte.
»Was zurückbringen? Wohin?«
Agnes seufzte am anderen Ende der Leitung. »Liebes, ich verstehe dich ja. Mir ging es am Anfang genauso. Die Versuchung ist groÃ, ein Geschenk des Refugiums zu behalten. Aber du darfst es nicht. Du musst die Haare zurückbringen. Du hast sie lange genug behalten, fast einen ganzen Tag â¦Â«
Woher weià sie das?, dachte Ines erschrocken. Sie hat mich
Weitere Kostenlose Bücher