Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
säße der Schmetterling im Abendlicht auf einer Blüte und labte sich am Nektar.
    Â»Dieser Schuh gehört Agnes«, sagte der alte Herr mit Nachdruck. »Sie vermisst ihn seit Jahren. Vielleicht hat sie dir davon erzählt?«
    Ines schüttelte stumm den Kopf.
    Falls der alte Herr enttäuscht war, ließ er es sich nicht anmerken.
    Â»Nun, ich wollte ihn ihr zurückgeben. Aber da ich sie nicht finde, ist es besser, wenn du ihn für sie aufbewahrst. Gib ihn Agnes, wenn sie auftaucht, und sage ihr, dass ich mit ihr zu sprechen habe. Kannst du dir das merken, Ines?«
    Â»Ist ja nicht schwer«, murmelte sie. »Kann ich jetzt bitte vorbei?«
    Der alte Herr trat lächelnd von der Tür zurück. Ines kramte ihren Schlüssel hervor und öffnete die Haustür. Aber der alte Herr rief sie noch einmal zurück.
    Â»Vergiss den Schuh nicht, Ines.«
    Wortlos ließ sie sich den Karton mit dem Schuh in die Hand drücken und verschwand im Hausflur.
    Hinter sich hörte sie die Männer in einer fremden Sprache reden, die sie noch nie gehört hatte.
    Und erst jetzt, als sie die Treppe emporstieg, merkte sie, wie das Blut in ihren Adern pulsierte.

30.
    Â»Der Schuh … dieser verdammte Schuh, den Agnes auf der Brücke verloren hat!«
    Ines wagte kaum, in den Karton zu blicken. Längst stand sie oben vor der Wohnungstür. Vorsichtig drehte sie sich um und lauschte.
    Waren die unheimlichen Männer ihr auch nicht gefolgt?
    Sie spähte durch ein Flurfenster auf die Straße. Die Limousine fuhr gerade lautlos an. Der Motor war nicht zu hören.
    Bleib ruhig, befahl sich Ines. Und denk nach! Was hat Agnes am Telefon über diese Männer gesagt? Dass sie das Refugium suchen und für sich haben wollen. Das ist der Grund, warum der alte Herr im Dorf auftauchte und Agnes bedrohte. So sehr, dass sie verschwinden musste.
    Sie dachte mit Schrecken an die bleichen, unnatürlich glatten Hände des alten Herrn, an sein starres Lächeln und den undurchdringlichen Blick seiner gespenstischen weißen Augen.
    Als er mich angesehen hat, war es so, als er ob er meine Gedanken liest. Als ob er jede Schwindelei erkennt.
    Aber sie glaubte nicht an Gedankenlesen. Und je mehr sie über die unheimliche Begegnung nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass der alte Herr versucht hatte, sie auszuhorchen.
    Er weiß nicht, wo sich Agnes aufhält, und auch nicht, wo das Refugium ist. Deswegen wollte er mir auf den Zahn fühlen. Aber er hat das Zimmer nicht einmal erwähnt. Weil er nicht sicher ist, ob Agnes mir davon erzählt hat …
    Ja, so musste es gewesen sein. Der alte Herr hatte im Dorf so lange herumgeschnüffelt, bis er von Ines’ Besuch erfahren hatte. Dieser Spur war er nachgegangen.
    Â»Er weiß nicht, dass ich das Refugium bekommen habe«, wisperte Ines. »Und er darf es auch nicht wissen.«
    Ihr Blick fiel auf den Karton, den sie noch immer in der Hand hielt.
    Der silberne Schmetterling auf dem Schuh schlug sanft mit den Flügeln, als wollte er ihre Aufmerksamkeit wecken.
    Â»Seit wie vielen Jahren bist du jetzt außerhalb des Refugiums?«, fragte sie ihn. »Sind es sechzig oder mehr?«
    Ihr kam die erste Regel in den Sinn, die Agnes sie gelehrt hatte.
    Â»Alles, was man dem Refugium entnimmt, muss man zurückbringen … Dann wird es höchste Zeit für dich, kleiner Schmetterling.«
    Sie schob den Karton unter ihren Arm und schloss die Wohnungstür auf.
    Â»Hallo?«, fragte sie laut. »Jemand zu Hause?«
    Aus dem Wohnzimmer drang leise Opernmusik. Carmen lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa und hatte die Kopfhörer auf. Genau so, wie Ines es befürchtet hatte.
    Die hätten mich entführen können und meine Mutter hätte es nicht einmal bemerkt, dachte Ines mit Schaudern. Ob sie das Klingeln nicht hören wollte?
    Sie schlich in ihr Zimmer.
    Die Tür des Refugiums war an Ort und Stelle. So weit, so gut!
    Ines nahm den Schuh aus dem Karton und ging auf die Tür zu.
    Sie bemerkte, dass der silberne Schmetterling heftiger mit den Flügeln schlug. Zugleich blinkte der Widderhorngriff der Tür auf und das Messing lief dunkel an.
    Ines öffnete die Tür.
    Innen war das Licht dumpf. Der Kamin war verschwunden und an der Decke leuchtete der alte, cremefarbene Lampenschirm. Die Glühbirnen darin surrten, als wären sie kurz vor dem Durchbrennen. Vor dem Fenster ballte sich der Nebel. Er

Weitere Kostenlose Bücher