Infam
überzeugend.
»Können wir uns nicht hinsetzen?«
Ich setzte mich in einen der Sessel neben Tess’ Bett, während Julia auf dem anderen Platz nahm.
»Du weißt, wie schwierig mein Leben mit Win war«, begann sie. »Ich meine, du glaubst mir doch, was ich dir erzählt habe – was ich durchgemacht habe?«
»Ja«, sagte ich. Und ich tat es. Dennoch ertappte ich mich dabei, wie ich an Caroline Hallisseys Einschätzung von Julia als einen Menschen dachte, der Emotionen vortäuschte.
»Ich habe North bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung für das Pine Street Inn in Boston kennen gelernt«, fuhr Julia fort. »Ich dachte, er könnte mir vielleicht bei einem Projekt behilflich sein, das ich ins Leben rufen wollte – eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die Drogen nehmen. Davon gibt es auf der Insel nämlich mehr, als irgendjemand sich eingestehen will, und ich dachte, da North aus Baltimore kommt, wäre er vielleicht weniger naiv als seine Vorgänger.«
Ich bemerkte, wie sehr es mir missfiel, dass Julia North beim Vornamen nannte – beinahe ebenso sehr, wie wenn sie von Darwin als »ihrem Mann« sprach. »Er ist wirklich alles andere als naiv«, sagte ich. »Er hat in seinem Leben alles gesehen und zwar mindestens zweimal.« Ich forderte sie mit einer Geste auf fortzufahren.
»Wir fingen an, uns wegen dieses Drogen-Projekts regelmäßig zu treffen, und ich fühlte mich zu ihm hingezogen«, sagte sie. »Aber wir hatten nie eine so starke Verbindung zueinander wie du und ich.« Sie beugte sich dichter zu mir. »Das musst du mir glauben. North hat mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben, und ich habe ihn bewundert, aber ich habe ihn nicht
geliebt
.«
Womit sie sagen wollte, dass sie
mich
liebte. Das hörte ich klar und deutlich heraus. Und ich hörte es gern. »Ich habe ein Foto von euch beiden am Strand gesehen«, sagte ich.
»Am Strand?«
»Ihr habt einander umarmt«, sagte ich. »Und geküsst.« Selbst in meinen eigenen Ohren klang mein Tonfall wie der eines eifersüchtigen Schuljungen, und ich wand mich innerlich.
Sie starrte mich ungläubig an. »Win hat dir das Foto tatsächlich gegeben?«
Ich antwortete nicht. Ich wollte Julias Version davon hören, wo das Foto hergekommen sein könnte.
»Ich kann nicht glauben, dass er das getan hat«, sagte sie. »Er ist wirklich krank.«
»Was meinst du damit?«
»Einer von Darwins Wachmännern hat das Foto aufgenommen«, sagte sie. »Win hat mich beschatten lassen und das Foto benutzt, um mich zu einer Abtreibung zu zwingen.«
»Was?«
»Er hat gesagt, wenn ich meine Schwangerschaft nicht abbrechen würde, dann würde er das Foto der Presse zuspielen«, sagte Julia. »Das hat mir Angst gemacht. Natürlich wollte ich in keinen Skandal verwickelt werden, aber darüber hinaus machte ich mir auch Sorgen, dass North seinen Posten verlieren oder seine Ehe aufs Spiel setzen könnte, oder sogar beides. Also habe ich einen Termin bei der Familienplanungsstelle gemacht.«
Ich war erleichtert, dass Julias Geschichte zumindest halbwegs glaubhaft klang. »Hat Darwin von Scheidung gesprochen, nachdem er herausgefunden hatte, dass du dich mit North getroffen hast?«, fragte ich.
»Nie. Ich schätze, ihm hat es gefallen, dass er etwas gegen mich in der Hand hatte. Dadurch hatte er mehr Macht über mich«, sagte sie. »Er genießt das.«
»Aber er hat das Foto nicht der Presse übergeben«, bemerkte ich.
»Ich hätte wissen müssen, dass das ein Bluff war. Meine Untreue publik zu machen, hätte sein Ego mehr verletzt, als es seinen Rachedurst gestillt hätte.« Tränen traten in ihre Augen. »Ich schätze, er hat einfach abgewartet, bis er es mir heimzahlen konnte – mit Brooke und Tess.«
Am liebsten hätte ich Julia nicht weiter bedrängt, da sie den Tränen so nahe war, doch ich musste sie nach dem Brief fragen. »Da ist noch etwas anderes«, sagte ich.
Sie wischte sich die Tränen ab. »Was? Ich erzähle dir, was immer du willst.«
Eine beunruhigende Wortwahl, die die Frage in mir aufkeimen ließ, ob Julia mir nur erzählte, was ich hören wollte. »Eine Seite eines Briefes, den du geschrieben hast, ist aufgetaucht«, erklärte ich.
»Aufgetaucht?«
»Möglicherweise, als die Polizei das Haus durchsucht hat«, log ich.
»Ach, wirklich«, sagte sie.
Es gefiel mir nicht, sie anlügen zu müssen, und gleichzeitig kam mir der Gedanke, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre, ein wenig Unfrieden zwischen Julia und Claire zu stiften. »Ehrlich
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