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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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entfernt. Das Gästehaus, in dem ich wohnte, war ein verwittertes graues Cottage von 1852, das um die Jahrhundertwende von Edgartown hierher umgesetzt worden war. Überall wuchsen wild Heidelbeeren, Stachelbeeren und Wein, und der Duft von Paprikasträuchern schwängerte die Luft.
    Die ersten zwei Wochen dort waren wie das Paradies. Nicht nur, dass Billy und Garret mich in allem, von Sport über Mädchen bis hin zu Berufswünschen, um Rat fragten und mich so den guten Vater spielen ließen, auch Julia verschmolz ihre Hilfsbedürftigkeit und Sinnlichkeit in noch fesselnderer Weise denn je zuvor. Es gab Abende, an denen sie in meinen Armen über irgendeine übermächtige Erinnerung an Darwins Grausamkeit weinte und sich von niemand anderem trösten ließ. Sie mischte ihre Tränen mit unvermittelten Zärtlichkeiten – eine Kombination, die der Kern meines Wesens wie ein Zaubertrank aufsog. In einem Moment flüsterte sie mir zu, sie hätte Angst, im nächsten, sie wolle mich in sich spüren. Und wenn wir uns liebten, dann taten wir es mit einer solchen Intensität, dass ich die Grenze zwischen meiner Lust und der ihren nicht mehr erkennen konnte und von beiden gleichermaßen angetrieben und entrückt wurde.
    Jene Tage waren wie eine Droge, eine Droge, die ich nie wieder aufgeben wollte. Doch am Sonntag, dem 21. Juli, knappe drei Wochen nach Darwin Bishops Festnahme, war der Rausch zu Ende, und alles stürzte in ein gähnendes Loch.
    Der Tag war mein bislang schönster auf Martha’s Vineyard gewesen. Julia, ihre Mutter Candace, die Jungs und ich hatten uns einen verspäteten Gourmet-Brunch gegönnt, der dann genüsslich in einen geruhsamen Tag übergegangen war, den Julia lesend auf der Veranda verbrachte, während ich mit Garret und Billy Ball spielte, ehe wir uns zu dritt in den Wellen abkühlten. Als der Abend heranrückte, meinte Julia, sie fühle sich schon wieder fast wie sie selbst, und schlug vor, dies mit ihrem ersten echten Ausflug zu feiern – einem Spaziergang im Sonnenuntergang auf den Klippen von Gay Head. Also fuhren wir zusammen hin.
    Die fünf Meter hohen Klippen leuchteten im verblassenden Licht des Tages wie der Mittelpunkt der Erde. Es herrschte gerade Ebbe, und die Wellen spülten in trägem Rhythmus über den samtenen Strand unter uns und ließen ganze Felder von schillernden Bläschen zurück.
    Julia hakte sich bei mir unter und schmiegte sich beim Gehen an mich. »Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich geborgen«, sagte sie.
    Ich blieb stehen, drehte mich zu ihr um und küsste sie auf die Stirn. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten. »Ich auch.«
    »Wirklich?«
    Ich nickte.
    »Du vertraust mir?«
    »Natürlich vertraue ich dir«, versicherte ich ihr.
    »Dann schließ die Augen«, sagte sie mit einem spitzbübischen Grinsen.
    Ich sah zum Rand der Klippen, der knapp einen Meter entfernt war. »Wenn ich dich langweile, brauchst du es einfach nur zu sagen.«
    Julia lachte wie ein kleines Mädchen. »Du hast gesagt, du würdest mir vertrauen.« Sie küsste mich leidenschaftlich, schmiegte sich an mich und ließ ihre Hand zwischen meine Beine wandern, während sie uns gleichzeitig einen Schritt näher an den Abgrund manövrierte. Zwei Schritte weiter, und ich hätte Drachenfliegen ohne Drachen ausprobieren können. »Komm, mach deine Augen zu«, sagte sie, während ihre Finger meinen Schritt massierten. »Es wird dir gefallen. Das verspreche ich.«
    Ich atmete tief durch und schloss meine Lider, bis Julia nur noch als Schatten erkennbar war. Eine erregende Mischung aus Leidenschaft und Furcht ergriff mein Herz. Schweißperlen liefen über meine Brust und an meinem Bauch hinab, die sich in meinem Nabel sammelten, dann überliefen.
    Julias warme, flinke Zunge wanderte zu meinem Hals, dann in mein Ohr. »Lass die Augen zu«, flüsterte sie, ehe sie sich von mir löste.
    Ich stand einen Moment lang in einer Art Trance da, lauschte meinen Atemzügen und beobachtete durch meine halb geschlossenen Augen, wie Julia einige Schritte zurückwich.
    »Nicht schummeln«, sagte sie, drehte sich um und lief davon.
    Sie verschwand im grellen Sonnenschein. Fünfzehn, zwanzig Sekunden verstrichen. Ich konnte nur den Wind und das rauschende Gras hören.
    »Okay«, rief Julia aus einiger Entfernung. »Such mich.«
    Ich öffnete die Augen und sah mich um. Die Farben des Grases, des Ozeans, des Himmels und der Klippen schienen plötzlich noch leuchtender als zuvor. Die Sonne war ein lodernder orangeroter Strandball,

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