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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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Jungs Billy angespuckt hat?«
    »Nein«, sagte sie. »Soweit ich es verstanden habe, waren es nur Hänseleien, bis Billy …«
    »Billy kann es nicht ertragen, drangsaliert zu werden«, erklärte ich, während mein Blick zu den Narben auf seinem Rücken huschte.
    »Verstehe«, erwiderte Mrs. Sanderson, obwohl ihr Tonfall das genaue Gegenteil besagte. Sie schwieg einen Moment lang. »Trotzdem bin ich froh, dass Sie angerufen haben. Wenn auch aus einem anderen Grund«, fuhr sie schließlich fort, wobei ihr Tonfall zu einer beinahe komischen Mischung aus gekünstelter Vornehmheit und feierlichem Ernst wurde.
    »Ach ja?«
    »Es gab da einen äußerst beunruhigenden Zwischenfall mit Billy, bevor die beiden heute Abend ins Kino gegangen sind«, erklärte sie. Es folgte eine bedeutungsschwangere Pause. »Halten Sie es für angebrachter, die Sache mit Julia zu besprechen?«
    »Julia ist nach wie vor nicht ganz auf dem Posten«, erwiderte ich. »Ich werde sie natürlich über alles informieren, was Sie mir erzählen.«
    »Na gut«, sagte sie. »Mein Mann und ich haben so etwas wie eine zweite Familie gegründet. Wir haben vor zwei Monaten noch ein Baby bekommen.«
    »Herzlichen Glückwunsch«, gratulierte ich. Ich hatte zwar keine Ahnung, worauf sie hinauswollte, doch die Richtung, die dieses Gespräch zu nehmen schien, gefiel mir nicht. Seit Brookes Ermordung war einfach noch nicht genügend Zeit verstrichen, um bei der Erwähnung von Säuglingen nicht automatisch den Gedanken an Tod in mir aufkeimen zu lassen. Ich sah zu Billy hinunter, der damit beschäftigt war, sich das Blut von der Brust zu wischen.
    »Bevor die Jungen losgegangen sind, musste Jason noch einiges im Haus erledigen – nichts Wichtiges, nur seine Sachen im Garten zusammenpacken und so.«
    »Verstehe«, sagte ich, gierig auf die Pointe.
    »Währenddessen war Billy allein in seinem Zimmer. Jason hat ein neues Nintendo-Spiel, das die Jungs gerne spielen.«
    »Schön.«
    »Als Jason draußen fertig war, bat er meinen Mann, Billy zu sagen, er solle herunterkommen, damit sich die Jungs auf den Weg machen konnten.«
    Langsam verlor ich die Geduld. »Was genau ist passiert?«, fragte ich nachdrücklich.
    »Nur dies: Mein Mann hat Billy neben Naomis Wiege im Kinderzimmer gefunden. Er hat dagestanden und sie angestarrt. Sie hat geschlafen. Ich hatte sie etwa eine Stunde zuvor hingelegt.«
    Trotz der Tatsache, dass Darwin des Mordes an Brooke angeklagt war, war es wahrscheinlich nicht gerade beruhigend für Mr. Sanderson gewesen, den ehemaligen Hauptverdächtigen des Falls dabei zu ertappen, wie er seine kleine Tochter anstarrte. »Wie hat Billy erklärt, was er dort gemacht hat?«
    »Das hat ihn mein Mann auch gefragt, aber er hat keine Antwort gegeben. Er sah aus, als wäre er … weggetreten, wie in einer Art Trance. Nicholas musste ihn an den Schultern packen und ihn schütteln, damit er wieder zu sich kam.«
    Sie hätte Billys Zustand als benommen oder benebelt bezeichnen können.
Trance
hingegen ist eines jener Kodeworte, die Leute für Psychopathen reservieren. »Sie hatten Angst, er könnte Ihrer Tochter etwas antun?«, brachte ich es auf den Punkt.
    Billy sah mich stirnrunzelnd an.
    »Das will ich so nicht sagen«, erwiderte Mrs. Sanderson. Sie zögerte kurz. »Freunde von uns aus Nantucket haben uns erzählt, dass Billy lange vor der Tragödie mit seiner Schwester Brooke schon Probleme hatte. Ich meine sein Stehlen. Die Tierquälerei.«
    »Das stimmt«, bestätigte ich. Es sah nicht so aus, als gäbe Martha’s Vineyard Billy eine zweite Chance.
    »Und heutzutage weiß man einfach nie, was man glauben soll«, fuhr sie fort. »Egal, worum es geht. Es scheint immer eine neue Wendung zu geben. Irgendetwas Unerwartetes.«
    Übersetzung: Die Polizei könnte es vermasselt und Darwin Bishop fälschlicherweise des Kindsmords angeklagt haben, während der wahre Schuldige sein irrer russischer Adoptivsohn war. Vielleicht opferte Darwin sich sogar, um den Jungen vor dem Gefängnis zu bewahren. »Ich verstehe das sehr gut«, sagte ich.
    »Wir – mein Mann und ich – haben darüber gesprochen. Es wäre uns lieber, wenn Billy nicht mehr hierher kommen würde. Wir halten es für das Beste, wenn er sich auch nicht mehr mit Jason trifft.«
    Ich spürte in meinem eigenen Innern die Gefühle, die Billy zweifelsohne empfinden würde: Enttäuschung, Isolation, Verlassenheit. Einen Freund zu verlieren ist für jeden schwer, doch für ein Waisenkind wie Billy, der gerade eine

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