Infanta (German Edition)
Anerbieten. Sprachlos wie ein Zuschauer, der auf die Bühne geholt wurde, stand er da und sah, wie Mayla ihm die Spitze abnahm, wie sie vorsichtig daran sog und dann den Rauch durch die Nase wieder ausströmen ließ, und hörte sie seufzen. Sie spielte sich als Süchtige auf, das war nichts Neues. Damit spielte sie gern ihr Rauchen herunter. Aber sie tat das jetzt nur für ihn. Butterworth fragte sich nicht, was in ihr vorging. Jedes Sichvertiefen in sie führte unweigerlich zu der Überlegung, was dieses Mädchen für ihn und die anderen empfand. Und das war nur die Vorstufe zu quälenderen Gedanken, die immer auf dasselbe herabziehende Bild hinausliefen: Mayla als geisterhafte Geliebte von Gussmann zu sehen. Sie reichte die Spitze zurück, er wußte nicht, wohin damit.
»Ist dir jetzt besser?«
»Ja, Father.«
Er sah zu Boden.
»Und wie geht es der Lippe?«
»Sie heilt.«
»Du mußt aufpassen auf dich, versprich es.«
»Ich verspreche es. Warum sehen Sie auf den Boden?« Butterworth löschte die Glut und deponierte den Stummel in einer leeren Streichholzschachtel. Er blinzelte und zog die Brillenbefestigung stramm. »Ich darf dich nicht ansehen«, sagte er. »Wenn ich Verliebten in die Augen sehe, steht mein Herz jedesmal still.« Und er sah auf sein Mundstück. Es war noch ganz feucht. »Was wird es heute abend geben?« fragte er.
»Es wird Fisch geben, Father.«
Er schritt zur Tür, er trat in die Sonne. »Kommst du mit dem Geld aus, wo wir jetzt einen Gast haben?« Mayla leckte sich die Kruste. Sie war aufgebrochen und blutete. »Ich bräuchte wohl etwas mehr«, sagte sie. »Es sind ja zwei Gäste.« Butterworth griff zum Geländer. »Ich habe nicht an den Novizen gedacht«, entgegnete er und ging, so rasch es seine Beine erlaubten, die Stiege hinunter.
Das war schon alles, aber ließ ihm keine Ruhe. Immer wieder ging Butterworth im Traum diese Stiege hinunter und hielt die feuchte Spitze zwischen den Fingern, bis er sie endlich an die Lippen führte, um den Speichel zu kosten, und dachte, Mayla wird es allen erzählen. Ein alter, ohne Begleitung gesungener Schlager, Küß mich rasch, erlöste ihn gegen Morgen aus diesem Alptraum, und der talentierte Novize wunderte sich später, mit welcher Zuvorkommenheit ihm Butterworth die Station und ihren Garten zeigte, jeden Raum und jedes Plätzchen, bis auf die Küche. Sie sei uninteressant.
W ilhelm Gussmann verschnaufte. Sein pfeifender Atem drang durch die Dunkelheit, überschlug sich zu einer Hustenattacke und mündete in jenes Gelächter, das Dalla Rosa so entsetzt hatte, ein wieherndes Japsen. Er war auf dem Anstieg zur Bude. Im Geiste sah er sich bereits dort oben, sah sich erzählen und trinken, tanzen und zusammenbrechen und den steilen Weg heruntersausen: eine Rutschpartie im Sarg. Gussmann war Opfer einer reichen Phantasie. Nachts, neben der lautlos schlafenden Flores, entwarf er unselige Geschichten um Mayla, tagsüber machte er sinnlose Pläne für den Umbau des Ladens. Und seit kurzem kreisten seine Gedanken auch noch um den Deutschen aus Rom, von dem es einmal hieß, er habe mit der Kirche zu tun, ein anderes Mal, er sei amerikanischer Journalist. Der frühere Priester bezweifelte beide Gerüchte, aber wollte es genau wissen. Er war Kurt Lukas auf den Fersen.
Verlieren konnte er ihn nicht – von dieser Seite führte nur ein einziger Weg hinauf, einer Kette bunter Lichter entgegen, die eine Leuchtschrift umtanzten: Doña Elviras Bude . Wie der Ausschank auf einem Kalvarienberg verdankte die Amüsierstätte ihren Ruf nicht zuletzt den Mühen des Anstiegs. Sie klebte am höchsten und steilsten Hügel Infantas, der in Form einer großen Beule aus dem Regenwald ragte. Ihre Rückseite stieß an den Hang; die Vorderseite, von acht Pfählen gestützt, wurde von Betrunkenen oft als Bug eines gestrandeten oder gar schwebenden Schiffs besungen. Wilhelm Gussmann rang nach Luft. Sonst nahm er immer den leichteren Serpentinenweg, der freilich länger war und an Doña Elviras Privateingang endete; nur beliebte Gäste wie er fanden dort Einlaß. Vor ihm knackte und splitterte es, als fliehe ein Tier. Dann erklang eine Stimme: »Scheiße, verdammte!« Kurt Lukas.
»Aber lohnt sich, die Scheiße«, erwiderte Gussmann. Beide keuchten.
»Sind Sie Deutscher?«
»Ich bin ein Freund.« Beide spuckten.
»Was heißt ein Freund?«
Gussmann kroch näher, er ließ ein Feuerzeug aufflammen. Sein Gesicht war zur Hälfte mit Stoppeln bedeckt, und der Rest bestand aus
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