Infernal: Thriller (German Edition)
Sie sich einen Künstler vorstellen mit genügend Talent, um diese Gemälde zu produzieren, der den Nerv hat, mitten in der Nacht in einen Sumpf voller Schlangen und Alligatoren zu staken? Ich nicht. Ich glaube, er vergräbt sie. Falls sie tot sind. Und der sicherste Ort dafür ist ein Haus. Das Haus, in dem er lebt. In einem Keller.«
»Die Häuser in New Orleans haben keine Keller. Der Grundwasserspiegel ist zu hoch. Deswegen werden sogar die Menschen über der Erde beigesetzt.«
»Das geschah eigentlich stets mehr aus Brauchtum als aus Notwendigkeit«, erwidert er. »Und der Wasserspiegel ist in den letzten Jahren ganz beträchtlich gesunken. Er könnte sie ohne Schwierigkeiten unter einem Haus begraben, und sie würden nicht wieder auftauchen. Und trocken bleiben. Und wenn man gebrannten Kalk zufügt, fangen sie nicht einmal an zu stinken.«
Ein Piepsen kommt aus Kaisers Tasche. Er zieht sein Handy hervor und blickt auf das kleine Display. »Das ist Lenz. Er versucht, mich zu finden. Soll er ruhig weitersuchen.«
»Entschuldigen Sie – Sie sagten gerade: ›Falls sie tot sind.‹«
Kaiser überlegt sorgfältig, bevor er antwortet. »Das ist richtig.«
»Doktor Lenz ist überzeugt, dass sie tot sind.«
»Der Doktor und ich sind in vielerlei Hinsicht unterschiedlicher Meinung.«
»Sie sind der erste Polizeibeamte, der wirkliche Zweifel zu hegen scheint. Baxter sagt zwar, dass er Hoffnung hat, solange er keine Leiche findet, doch das tut er lediglich aus Höflichkeit.«
»Baxter ist ein netter Bursche.« Kaisers Blicke bohren sich in meine Augen. »Aber er glaubt, dass die Opfer tot sind.«
»Sie nicht?«
»Einen Fall wie diesen habe ich noch nie gesehen. Elf Frauen, die sich in Luft auflösen? Absolut keine Botschaft vom Täter? Normalerweise hätte ein Serienmörder, der so viele Frauen geschnappt hat und bisher ungeschoren davongekommen ist, längst angefangen, uns auf die eine oder andere Weise zu verspotten.«
»Aber wieso glauben Sie, dass die Frauen noch am Leben sein könnten? Und wo stecken sie?«
»Die Welt ist groß, Miss Glass. Und es gibt noch etwas anderes. Die Autopsie des Dorignac-Opfers ist fast abgeschlossen. Äußerlich war der Leichnam sauber, doch wir haben Hautproben unter den Fingernägeln gefunden. Im Augenblick gibt es noch keine Vergleichsproben, doch später könnten sie eminent wichtig werden. Die Toxikologie dauert noch ein wenig länger.«
»Das ist alles gut und schön, aber warum bringt Sie das auf den Gedanken, dass die anderen Frauen noch am Leben sein könnten?«
»Tut es nicht. Wir fanden eine merkwürdige Brandwunde im Nacken der Toten. Die Art von Kontaktverbrennung, die ein Elektroschocker hervorrufen würde. Ein Taser.«
Mein Puls geht plötzlich schneller. »Und was sagt Ihnen das?«
»Dass wir zwar von Anfang an geglaubt haben, dass es sich bei den Entführungen um Blitzattacken gehandelt hat, aber die eingesetzten Mittel nicht unbedingt tödlich waren. Was bedeutet, dass der Täter möglicherweise nicht das Risiko eingehen wollte, seine Opfer zu töten, nicht einmal aus Versehen.«
»O Gott, bitte lass es so sein.«
»Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken, aber nach meiner Meinung ist das ein gutes Zeichen. Nebenbei bemerkt, wir erzählen den Medien, dass wir nicht glauben, das Opfer vom Dorignac stünde mit den Entführungen im Zusammenhang. Wir betrachten es als willkürliches Sexualverbrechen, Vergewaltigung und Mord. Das Auffinden der Leiche unterstützt diese Story.«
»Ich hoffe sehr, dass dieses Märchen nicht auf Sie zurückfällt.«
Kaiser nimmt einen weiteren Bissen von seinem süß-sauren Rindfleisch und mustert mich abschätzend. »Zwei weitere Dinge machen diesen Täter höchst interessant für mich.«
»Welche?«
»Erstens, er ist der einzige Serienverbrecher, von dem ich gehört habe, der einen gewaltigen Profit aus seinen Verbrechen schlägt. Die meisten Serientäter profitieren in keiner Weise von ihren Taten. Geld ist für sie nicht Teil der Rechnung. Im Gegensatz zu diesem Täter.«
»Okay.«
»Und zweitens, er ist nicht auf Publicity aus. Nicht auf die übliche Form von Publicity zumindest. Falls die Opfer tot sind, schafft er ihre Leichen nicht an eine Stelle, wo sie gefunden werden und großartig in die Schlagzeilen gelangen könnten. Und falls sie nicht tot sind, schickt er keine abgetrennten Gliedmaßen an die Angehörigen oder irgendwelche Fernsehsender. Für ihn scheinen die Frauen also nichts weiter als ein Teil
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