Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infernal: Thriller (German Edition)

Infernal: Thriller (German Edition)

Titel: Infernal: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
enthüllt außerdem eine schmerzhafte Wahrheit: Jane hat meine Version der Geschichte nie wirklich geglaubt.
    Was ist das Schlimmste, das Sie je getan haben? , pflegte Dr. Lenz seine Patienten zu fragen. Eine einfache und doch vernichtende Frage. Und die andere, wie lautete sie noch gleich? Was ist das Schlimmste, das Ihnen je zugestoßen ist? Ich habe mehrere schreckliche Dinge erlebt, an die ich lieber nicht denken möchte, doch wenn ich mich für irgendetwas entscheiden musste, habe ich nur selten gegen das Diktat meines Gewissens verstoßen. Am schlimmsten gegen mein Gewissen habe ich gehandelt, als ich achtzehn Jahre alt war. Beinahe peinlich, dass mehr als zwei Jahrzehnte seit der High School nichts hervorgebracht haben, das charakterloser war, doch die Zeit des Erwachsenwerdens ist mit die härteste, die ein Mensch erlebt, und die Wunden, die man während dieser Zeit davonträgt, schmerzen ein ganzes Leben.
    Die Jahre schwelender Spannungen zwischen mir und meiner Schwester kamen zum Siedepunkt während unseres letzten Jahres, nur wenige Wochen bevor meine Affäre mit David Gresham zum Tagesgespräch der Schule wurde. Jane saß wie üblich auf dem hohen Ross. Sie redete endlos davon, dass sie im nächsten Jahr bei den Chi-Omega sein würde und warum ich mich nicht endlich zusammenreißen, ein wenig »zurechtmachen« und versuchen würde, »halbwegs normal« zu sein, was auch immer sie darunter verstand. Wenn ich mir keine Gedanken darüber machte, wie ich die Kosten für ihr Studium an der Ole Miss finanzieren sollte, knipste ich in meinem winzigen Studio Porträts oder schlich durch die Wälder zum Haus meines Geschichtslehrers. Rückblickend denke ich, dass ich in jener Zeit wie ein Geist gewesen bin. Schweigsam im Unterricht, unsichtbar nach der Schule, ohne Interesse an Versammlungen und Ballspielen und nie in den bekannten Stammlokalen der High School.
    Jane vermutete, dass ich ein heimliches Verhältnis hätte, doch ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie weit ihre Verdächtigungen wirklich gingen. Eines Tages, während eines Streits wegen irgendeiner Lappalie, wurde mir bewusst, dass sie mich für lesbisch hielt. Dass ich mich ständig davonstahl, um mich heimlich mit einer Frau zu treffen. Es war zum Totlachen, und als ich entsprechend amüsiert reagierte, fing sie an zu schreien, was für ein merkwürdiger Mensch ich wäre und dass ich ihre Aussichten zunichte machte, bei den Chi-Omega aufgenommen zu werden und ein normales Leben zu führen. Ich antwortete, dass ihre Vorstellung von einem normalen Leben nichts war, das ich als erstrebenswert empfand. Ich sagte auch, dass ich keineswegs lesbisch sei und mehr über Männer wüsste, als sie in ihrem ganzen Leben erfahren würde. Sie grinste auf ihre selbstgefällige, arrogante Weise, als hätte ich keine Ahnung, wovon ich rede. Ich sagte, unter etwas anderen Umständen wäre ich es, die jetzt mit Bobby Evans gehen würde, ihrem reichen Freund, mit dem sie die letzten drei Jahre zusammen gewesen war, und sie würde arbeiten, um die Stromrechnung zu bezahlen. Sie starrte mich nur ungläubig an und sagte: »Bobby und du ? Ihr beide? Das soll wohl ein Witz sein!« Und dann lachte sie. Aus irgendeinem Grund traf mich dieses Lachen bis ins Mark. »Warum nicht?«, fragte ich. »Weil du so verrückt bist«, sagte sie und sah mich mitleidig an. Damals begriff ich, dass sie mich genauso sah wie alle anderen, wie jemanden, der sich selbst aus der Gesellschaft ausgeschlossen hat. Und dabei hatte ich nichts weiter getan, als die Familie zusammenzuhalten, was sie ganz offensichtlich als selbstverständlich betrachtete.
    Zwei Tage später kam ich von der Schule nach Hause und fand einen Zettel an Janes Fenster geklebt. Er war von ihrem Freund, und er schrieb ihr, dass sie ihn an diesem Nachmittag im Wald hinter dem Kolosseum treffen sollte. Ich warf den Zettel weg, band mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, steckte mir ein Paar von Janes Ohrringen an, schlüpfte in einen ihrer kostbaren Lacoste-Pullover und fuhr mit ihrem Fahrrad zu der vereinbarten Stelle. Bobby Evans wartete in seiner Lederjacke. Wie er dort stand, sah er aus wie ein junger Robert Redford, auch wenn sein IQ ein wenig zu wünschen übrig ließ.
    Ich spielte Jane mit absoluter Perfektion. Wir hatten uns gegenseitig imitiert, seit wir Babys gewesen waren; es fiel mir überhaupt nicht schwer. Warum ich es getan habe? Ich wollte wissen, was sich hinter diesem selbstgefälligen Grinsen verbarg,

Weitere Kostenlose Bücher