Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infinity (German Edition)

Infinity (German Edition)

Titel: Infinity (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Gfrerer
Vom Netzwerk:
da.«
    Erschrocken fuhr Klara herum. Sie hatte niemanden kommen gehört. Das kleine Männchen, das so nahe vor ihr stand, dass Klara automatisch einen Schritt zurückwich, passte perfekt zu der knarrenden Stimme. Die Beine waren zu kurz für den langen Oberkörper und dazu noch stark gekrümmt. Auf einem dünnen Hals wackelte der Kopf wie eine Blüte im Wind. Die Augen wirkten aufgrund von dicken Brillengläsern riesig und stark vorgewölbt. Und die breiten Lippen bewegten sich ohne Unterlass, um dem ständigen Speichelfluss Herr zu werden. Trotzdem entstanden an den Mundwinkeln Bläschen, die der kleine Mann dank blitzschneller Bewegungen mit der Zunge sofort wieder zerplatzen ließ. »Alles zugesperrt. Ratzefatze.« Er lachte hoch und zog die Lippen auseinander. Dabei gab er ein paar kümmerliche Zahnreste frei.
    Klara trat von einem Bein aufs andere. Mit schnellem Blick scannte sie die Umgebung nach jemandem ab, der sie von dem seltsamen Wesen befreien könnte.
    Der Mann war von ihrem offensichtlichen Unbehagen nicht beeindruckt. Unverhohlen musterte er sie und wackelte dabei mit dem Kopf. »Schöne Frau«, brabbelte er und leckte sich über die wulstigen Lippen. »Warte hier, schöne Frau.« Er drehte sich so rasch auf dem Absatz herum, dass Klara Sorge hatte, sein Hals würde die Bewegung nicht mitmachen können und den Kopf verlieren. Auf seinen kurzen Beinen wackelte er davon und verschwand hinter einer der bunt bemalten Türen des Nebengebäudes.
    Schöne Frau. Klara schnaufte leise. Damit konnte er doch wirklich nicht sie gemeint haben – auch wenn sonst niemand auf dem Campus zu sehen war. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Zehn nach neun. Suchend schaute sie sich um. Gab es denn kein Café, in dem sie die nächsten fünfzig Minuten überbrücken konnte? Hier zu warten, wie der Mann es von ihr verlangt hatte, war jedenfalls das Letzte, was sie tun wollte. Sie wickelte ihren Schal enger um den Hals. Obwohl die Oktobersonne die Nebelschwaden der kalten Morgenluft aufgelöst hatte, fröstelte sie. Sie wünschte, sie hätte auf ihre Mutter gehört und ihre Winterjacke angezogen. Gerade als sie über den Hügel wieder ins Dorf hinuntergehen wollte, tauchte das Männchen erneut vor ihr auf. Wie schon zuvor stand es so plötzlich vor ihr, dass sie zusammenzuckte. Wie machte er das nur? So völlig geräuschlos aufzutauchen!
    Er kicherte. »Nicht erschrecken, schöne Frau. Komm. Ich zeig dir was.« Er griff nach ihrer Hand. Doch Klara zog ihren Arm zurück. Das schien ihm aber nichts auszumachen. Er wackelte zu einer Schachtel, die er neben der Tür abgestellt hatte. »Komm!«, wiederholte er. Mit weit ausholenden Armbewegungen winkte er Klara zu sich. »Ich zeig dir was.« Er fasste in den Karton und zog ein Blatt Papier heraus.
    Es leuchtete in bunten Farben und Klaras Neugierde überwog die Scheu vor dem fremden Mann. Mit kleinen Schritten näherte sie sich der Kiste und versuchte, einen Blick auf die Zeichnung zu erhaschen. Es war ein Porträt. Ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren. So viel konnte sie auf die Entfernung erkennen.
    Der Mann ruderte weiter mit seinem Arm. »Komm! Komm! Schöne Frau!« Er hielt ihr das Blatt Papier entgegen.
    Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen und starrte das Gemälde an. Ja. Sie kannte dieses Bild. Vom Blick in den Spiegel. Im Alter von sechs oder sieben. Damals hatte sie noch schulterlange Zöpfe. Keine wilde Bürstenfrisur so wie jetzt. Aber die dichten Brauen über ihren Augen, die gerade Nase, der Schwung ihrer Lippen, die hohen Backenknochen – da gab es keinen Zweifel. Das Mädchen auf dem Bild war sie!
    L.N. Umrahmt von einem exakten Quadrat.
    Ihre Beine fingen an zu zittern. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden gesetzt. Aber der naiv-offene Blick aus den Glupschaugen des verkrüppelten Mannes hinderte sie daran. Stattdessen beugte sie nur den Oberkörper vor und presste die Hände gegen die Knie. »Woher hast du das Bild?« Ihre Stimme hörte sich seltsam an. Als drückte ihr jemand beim Sprechen die Kehle zu.
    »Schöne Frau hier, schöne Frau da!« Das Männchen antwortete nicht, schien aber hocherfreut zu sein, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.
    »Matthias, lass die Dame in Ruhe. Was hast du denn da?« Eine pummelige Frau um die fünfzig klapperte über den Vorplatz. Als sie die Kiste mit den Bildern sah, erhöhte sich die Schrittfrequenz. »Du sollst doch die Bilder nicht nach draußen bringen. Hm? Haben wir das nicht ausgemacht?« Mit sanftem

Weitere Kostenlose Bücher