Infiziert
Möglichkeit, die so real war wie der Sonnenuntergang. Sie erinnerte sich daran, dass sie in ständiger Angst vor dem Unbekannten gelebt hatte. Natürlich hatte sie gespielt, war zur Schule gegangen, hatte gelacht und mit ihren Freunden einfach weitergemacht, doch die Drohung war immer präsent. Jeder dünne weiße Kondensstreifen am Himmel konnte der erste Fingerzeig des Untergangs sein.
Und das Spiel würde zu Ende gespielt werden, bis zum Sieg oder bis zur Niederlage, ohne dass sie irgendetwas dagegen tun konnte.
Sie versuchte sich davon zu überzeugen, dass dies hier nicht dasselbe war. Schließlich widersetzte sie sich an vorderster Front dieser potenziell massenhaften Vernichtung. Sie selbst war die erste Verteidigungslinie. Bei dieser Angelegenheit handelte es sich nicht um etwas, auf das sie keinen Einfluss hatte, im Gegenteil. Die ganze Sache lag fast buchstäblich in ihren Händen. Aus irgendeinem Grund jedoch war das rationale Wissen der erwachsenen Frau nicht in der Lage, die Angst des kleinen Mädchens zu bannen, und dieses Mädchen fürchtete auch weiterhin, dass sie nichts tun konnte, um den Ausgang des Spiels zu beeinflussen.
Sie fragte sich, wie Amos dieses Gefühl ignorieren konnte,
oder ob er es überhaupt empfand. Zum millionsten Mal summte er die Titelmelodie aus Hawaii fünf null, doch Margaret war zu müde, um sich zu beschweren. Sie nippte an ihrem Kaffee. Sie hatte dieses Zeug becherweise in sich hineingeschüttet in der Hoffnung, zu neuer Energie zu kommen, doch nichts schien ihre Lethargie durchdringen zu können. Es war gut, normale Luft zu atmen, die nicht durch ihren Schutzanzug gefiltert wurde. Sie wollte schlafen oder sich wenigstens kurz hinlegen und entspannen, doch dazu war keine Zeit. Sie mussten die Arbeit zu Ende bringen, die verwesten Überreste verbrennen und dann so schnell wie möglich die Klinik verlassen.
Amos drehte sich zu ihr um. Seine Haare waren zerzaust und seine Kleidung verknittert, doch seine Augen waren lebendig und voller Aufregung.
»Das ist wirklich faszinierend, Margaret«, sagte er. »Denk mal drüber nach. Wir haben hier einen menschlichen Parasiten von einzigartiger Komplexität. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass diese Kreatur ihrem menschlichen Wirt perfekt angepasst ist.«
Margaret starrte die Wand an, und als sie antwortete, waren ihre leisen Worte kaum hörbar. »Ich hasse es, ein ödes, altes Klischee umzuformulieren, aber dieses Ding ist fast zu perfekt.«
»Was meinst du damit?«
»Wie du selbst gesagt hast, ist diese Kreatur auf ideale Weise angepasst. Es ist wie bei einer Hand in einem Handschuh. Aber jetzt denk du mal drüber nach, Amos. Denk an das, was uns im Augenblick biotechnisch möglich ist. Diese Kreatur geht meilenweit darüber hinaus. Es ist, als würden die Russen plötzlich auf dem Mond landen, während
sich die Brüder Wright noch immer mit ihrer Kitty Hawk abmühen.«
»Das ist erstaunlich, zugegeben, aber wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass wir dieses Ding direkt vor Augen haben. Jetzt ist nicht der richtige Augenblick für sensible amerikanische Egos. Da draußen gibt es irgendein Genie, das uns so weit voraus ist, das wir es nicht einmal verstehen können.«
»Was wäre, wenn es dieses Genie gar nicht gibt?«, fragte Margaret mit noch immer leiser Stimme.
»Wovon redest du? Natürlich gibt es dieses Genie. Wie hätte so ein Ding sonst geschaffen werden können?«
Sie drehte sich um und sah ihn an. Ihre Haut war fast grau, und Erschöpfung überzog ihr Gesicht wie ein dünner Film. »Was ist, wenn es von niemandem geschaffen wurde? Was ist, wenn es natürlichen Ursprungs ist?«
»Oh Margaret, ich bitte dich! Ich weiß, dass du müde bist, aber anscheinend kannst du jetzt nicht mehr klar denken. Wenn dieses Ding natürlich wäre, wie kann es dann sein, dass wir ihm noch nie begegnet sind? Ein menschlicher Parasit solchen Ausmaßes und solcher Virulenz – und dann gibt es keinen einzigen dokumentierten Fall bis zu denen aus diesem Jahr? Das klingt nicht gerade sinnvoll. Denn damit sich diese Kreatur so genau an ihren menschlichen Wirt anpassen konnte, muss sie eine Koevolution mitgemacht haben, die Millionen von Jahren umfasst. Und doch haben wir so etwas noch in keinem einzigen Säugetier entdeckt, von Primaten und Menschen ganz zu schweigen.«
»Ich bin sicher, dass es viele, viele Dinge gibt, die wir bisher noch nicht gesehen haben«, sagte Margaret. »Aber ich kann einfach nicht akzeptieren,
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