Ingrid
ein Alibi braucht?«
»Jeder in der Umgebung gilt zunächst mal als verdächtig. Ist die Polizei schon bei Ihnen gewesen?«
»Nein, ist das nicht komisch? Du ja, aber die Polizei noch nicht? Vielleicht sollte man die Polizei auch privatisieren.«
Ich lächelte pflichtschuldig. »Seine Frau hat ausgesagt, er sei an jenem Abend zu Hause gewesen. Vielleicht glaubt die Polizei das. Aber Harm hat mir erzählt, dass er an diesem Abend mit Ihnen Billard spielen war.«
»Und das glaubst du nicht.«
»Er kann nicht gleichzeitig zu Hause gewesen sein und mit seinem Freund Billard spielen, es sei denn, der Billardtisch steht bei ihm zu Hause im Keller. Ich habe seine Frau kennen gelernt, und ich halte das nicht für wahrscheinlich.«
Das brachte ihn zum Lachen. »Wo liegt das Problem?«
Ich drückte mich vorsichtig aus: »Er hat seine Mieterin belästigt.«
Dirksen nahm es gleichmütig auf. »Sie war ein appetitliches Ding, ich hab sie ein paar Mal gesehen. Aber hinter ihr her zu sein ist etwas anderes, als sie zu ermorden.«
Ich nickte. »Womöglich kam er vom Billard spielen nach Hause, ging bei ihr vorbei, um es noch einmal zu versuchen, und die Sache lief aus dem Ruder.«
Dirksen legte den Kopf schief. »So, so. Und um welche Uhrzeit soll das ungefähr gewesen sein?«
»Gegen Mitternacht.«
Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Na, dann muss es jemand anderer gewesen sein, denn Harm war bis drei Uhr nachts mit mir zusammen.«
»Beim Billard spielen?«
Er nickte.
Ich nahm mein Notizbuch zur Hand. »Wo war das, und wer war sonst noch dabei?«
»Glaubst du mir nicht?«
»Bis um drei Uhr morgens Billard spielen hört sich für mich ein bisschen seltsam an.«
»Wir waren in einer Kneipe in Leerdam, in der Nähe des Hafens.«
»Bis drei Uhr morgens in der Kneipe?«
»Ja, unter anderem dort.«
Ich nahm meinen Stift. »Was heißt ›unter anderem‹?«
Er schaute zur geschlossenen Tür seines kleinen Büros. »Sag Sjef zu mir, okay?«
Sehr merkwürdig. »Okay, Sjef.«
»Und wie heißt du mit Vornamen?«
»Max«, antwortete ich gehorsam.
»Okay, Max.« Er nickte zufrieden, als sei damit schon mal ein Problem gelöst. »Gibt es bei euch auch so was wie einen Amtseid oder so?«, fragte er dann. »Ich meine, wenn ich dir etwas im Vertrauen erzähle, bleibt das dann unter uns oder lese ich es morgen in der Zeitung?«
»Es bleibt unter uns«, sagte ich.
»Schön.« Beruhigt stand er von seinem Stuhl auf.
»Es sei denn, es geht um ein Kapitalverbrechen wie Mord.«
Er sank wieder zurück und fummelte an seiner Nase herum. »Harm war bis drei Uhr nachts mit mir zusammen.«
»Dann haben wir ein kleines Problem«, sagte ich nach einer ungeduldigen Stille.
»Warum?«
Ich seufzte. »Du wärst nicht der erste, der einem Freund mit einer Geschichte zu helfen versucht, die niemand überprüfen kann.«
Sjef Dirksen zögerte nicht lange. Er schaute auf seine Armbanduhr. »Hast du noch ein bisschen Zeit?«
»Mein Klient bezahlt«, antwortete ich.
Im Flur nahm er ein Sakko von der Garderobe und öffnete die Tür zur Küche. »Ich muss mal kurz mit dem Kontrolleur zur Versteigerung«, rief er seiner Frau zu.
Wir stiegen in seinen Mercedes und fuhren in die falsche Richtung, wenn wir tatsächlich zu den Versteigerungshallen in Geldermalsen wollten. Sjef schaltete Musik ein und zupfte ein wenig an seiner Kleidung herum, während er schweigend über Asperen und einen höheren Deich zur Autobahn fuhr. Er nahm die Auffahrt in Richtung Rotterdam und fuhr eine Viertelstunde später wieder ab. Ein paar Deiche und Kurven weiter hielt er schließlich vor einer großen Villa mit einem großen Parkplatz, geschlossenen Fensterläden und einem Schild, auf dem in zierlichen Lettern The Pink Moon stand. Auf dem Parkplatz wartete ein Lkw. Sjef hielt direkt vor dem Schild und sagte: »Hier waren wir.«
Ich schaute mich um. »Im Puff.«
»Das machen wir praktisch jeden Dienstag. Erst ein bisschen nach Leerdam zum Billard spielen und dann in den Puff.« Er atmete hörbar auf. Geständnisse rufen bisweilen Erleichterung hervor.
»Jeden Dienstag?«
Er nickte. »Man kennt uns hier als Sjef den Schweinezüchter und Harm den Imker. Ich dachte, ich sage lieber nichts, sondern bring dich gleich hierhin. Da du die ganze Zeit bei mir gewesen bist, kann ich also auch nicht angerufen und etwas mit den Damen abgesprochen haben. Geh sie ruhig fragen. Oder glaubst du mir auch so?«
The Pink Moon. »Ach, wo wir einmal hier sind«, sagte
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