Inka Gold
das Zifferblatt so, daß die anderen es sehen konnten. Laut Zeitplan waren sie zwanzig Minuten zu früh.
Hoch über ihnen schwirrten die Helikopter um den Berggipfel wie Bienen um ihren Stock. Sie waren bis an die Belastungsgrenze mit Schätzen beladen und gewannen nur mühsam an Höhe, bevor sie in Richtung der Landebahn in der Altarwüste davonflogen.
Coronel Campos’ Offiziere und Mannschaften arbeiteten so schnell und waren derart von dem goldenen Hort beeindruckt, daß niemand auf die Idee kam, den Sicherheitskordon rund um den Fuß des Berges zu kontrollieren. Der Funker auf dem Gipfel war viel zu sehr mit der Einweisung der ankommenden und abfliegenden Hubschrauber beschäftigt, um einen Bericht von Capitan Diego anzufordern. Niemand nahm sich die Zeit, einen Blick hinab auf das verlassene Armeelager zu werfen. Und auch die kleine Horde Männer, die sich langsam dem Berggipfel näherte, nahm niemand wahr. Comandante Cortina von der örtlichen Polizei war ein Mann, dem nicht viel entging. Als der Polizeihubschrauber vom Cerro el Capirote abhob, um ihn zu seinem Amtssitz zurückzubringen, blickte er hinunter auf die steinerne Bestie und bemerkte etwas, das allen anderen entgangen war. Doch er war ein nüchterner Mann, und so schloß er die Augen, weil er glaubte, das Wechselspiel von Sonne und Schatten hätte ihm einen Streich gespielt. Vielleicht lag es auch nur an seinem Blickwinkel. Doch dann sah er erneut auf die uralte Skulptur hinunter, und er hätte schwören können, daß sich ihr Ausdruck geändert hatte. Der drohende Blick war verschwunden.
Kurz bevor der Hüter der Toten außer Sicht geriet, kam es Cortina so vor, als wäre sein zähnebewehrtes Maul zu einem Lächeln erstarrt.
52
Pitt hatte das Gefühl, er sinke durch einen gigantischen Strohhalm voller kobaltblauem Dunst.
Die Wände des senkrecht abfallenden Wasserloches waren rund und glatt, fast wie poliert.
Hätte er durch das klare Wasser nicht seinen Tauchpartner gesehen, der sich ein paar Meter unter ihm befand, der Schacht wäre ihm bodenlos vorgekommen. Nachdem er seine Ohren an den Wasserdruck angepaßt hatte, schloß er mit ein paar leichten Flossenschlägen zu Giordino auf, der gerade ihren Transportbehälter um die Engstelle am Boden der Doline zerrte.
Pitt übernahm das hintere Ende und half ihm, dann schwamm er hinterher.
Er warf einen Blick auf den Tiefenmesser. Die Nadel stand kurz vor der 60-Meter-Marke (197 Fuß). Die Gefahr eines Tiefenrausches war nun gebannt, denn von jetzt an würde der Wasserdruck sinken, da der Zufluß, der Satan’s Sink mit Wasser versorgte, stetig nach oben führte, bis er in den unterirdischen Fluß mündete.
Das hier war etwas ganz anderes als der Tauchgang in dem Opferbrunnen im Andendschungel. Dort hatte er eine starke Sicherheitsleine mit Kommunikationsausrüstung benutzt. Und bis auf den kurzen Abstecher in die Nebengrotte, wo er Shannon und Miles gerettet hatte, hatte er stets die Wasseroberfläche sehen können. Diesmal aber wollten sie in die ewige Nacht vordringen, in eine Unterwelt, die weder Mensch noch Tier je zu Gesicht bekommen hatten.
Während sie ihren sperrigen Behälter durch die Kurven und Biegungen des Zuflusses bugsierten, mußte Pitt daran denken, daß Höhlentauchen eine der gefährlichsten Sportarten der Welt ist. Da ist zum einen die totale Dunkelheit, das beklemmende Gefühl zu wissen, daß man sich tief unter gewachsenem Fels befindet. Hinzu kommen die alptraumhafte Stille und die ständige Gefahr, undurchdringliche Schlammwolken aufzuwirbeln und die Orientierung zu verlieren. All das kann leicht zu einer Panik führen, und zahllose gutausgebildete und bestens ausgerüstete Taucher haben dadurch schon ihr Leben verloren. Zugleich aber übt es auch eine morbide Faszination aus, denn Höhlentauchen läßt sich nur durch Erfahrung lernen, nicht aus Büchern.
Was hatte ihm doch sein Ausbilder von der National Speleological Society, der Gesellschaft für Höhlenforschung, vor seinem ersten Tauchgang in eine Salzwasserhöhle auf den Bahamas gesagt? »Beim Höhlentauchen kann selbst der Beste jederzeit sterben.« Manchmal behält man Ereignisse, von denen man in jungen Jahren gehört hat, für immer im Gedächtnis, und so erinnerte sich Pitt ausgerechnet jetzt daran, daß alleine 1974 sechsundzwanzig Taucher in den Unterwasserhöhlen von Florida ihr Leben gelassen hatten und daß die Zahl der Opfer weltweit mindestens dreimal so hoch war.
Pitt hatte nie unter Klaustrophobie
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