Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
Norton,
der vergangenheitsorientiert war, nicht erkennen.
Und diese Fahne dort auf dem Gebäude - Norton konnte den Wind spüren und wußte, in welche
Richtung er wehte. Doch die Fahne breitete sich in die entgegengesetzte Richtung aus. Entweder
herrschte dort oben ein anderer Wind als hier unten - oder die Fahne wehte in den Wind
hinein. Aus seiner Tasche fischte Norton ein Stück Papier. Er hielt es in den Wind empor. Es
flatterte direkt in den Wind hinein - tat also genau das Gegenteil dessen, was es eigentlich
hätte tun sollen. Er ließ es fahren woraufhin es windwärts davonwehte wie ein Salm, der den Fluß
emporschwamm. Seltsam!
Er streckte den Arm aus dem Ärmel seines neuen weißen Vorhangs hervor und sah auf die Uhr. Sie
lief rückwärts.
Es stimmte also! Chronos lebte tatsächlich rückwärts.
Die Laufrichtung seines Lebens lief der des restlichen Universums genau entgegen. Er konnte mit
seinem früheren Selbst nicht kommunizieren, weil er sich nun in einem anderen Bezugsrahmen
aufhielt. Die Menschen waren darauf eingestellt, Dinge innerhalb ihres eigenen Bezugsrahmens
wahrzunehmen. Sie konnten einfach keine Beziehung zu etwas herstellen, was sich außerhalb davon
befand. Norton selbst war dem normalen Zeitstrom gefolgt, bis er die Sanduhr übernommen und sie
umgedreht hatte, um den Sand seiner Amtszeit in Bewegung zu setzen. Nun folgte er der neuen
Zeitflußrichtung. Er konnte eine Beziehung zum Rest der Welt herstellen, die er deutlich sah,
weil er sie verstand. Sein neues Leben schritt weiter voran im Rückwärtsgang.
Doch was sollte er nun tun? Was war jetzt seine Aufgabe?
Sein Blick fiel auf den Ring, den Orlene ihm gegeben hatte. Vielleicht konnte der ihm helfen.
»Sning, funktionierst du noch?«
Druck.
»Da bin ich aber erleichtert! Verstehst du etwas von diesem Zeitumkehrungseffekt?«
Druck.
Ausgezeichnet. Nun brauchte er sich nur noch die richtigen Fragen zu überlegen. »Stimmt es, daß
ich rückwärts lebe, so daß ich die Welt nun wie eine Holoshow sehe, die rückwärts abgespielt
wird?«
Druck.
»Aber wie kann ich dann eine Beziehung zu normalen Menschen herstellen?«
Druck, Druck, Druck.
Natürlich, er hatte seine Frage nicht korrekt gestellt.
»Kann ich überhaupt eine Beziehung zu normalen Menschen herstellen?«
Druck.
»Gibt es irgend etwas, das ich tun kann, um diese Beziehung zu ermöglichen?«
Druck.
»Hat es irgend etwas mit der Sanduhr zu tun?«
DRUCK!
Die Sanduhr war also wichtig! Norton musterte das Instrument. Der dünne Faden rieselnden Sands
leuchtete noch immer sanft, von fahlweißer Farbe, ein beständiger Strom, der Oben und Unten
verband.
Also gut. Dieser Strom maß die Zeit, und es war offensichtlich, daß der Gegenstand die ganze
Spanne seiner Karriere bemaß. Er hatte ungefähr neununddreißig Jahre vor sich - hinter sich - bis
zum Zeitpunkt seiner Geburt, dann würde der Sand wahrscheinlich ausgelaufen sein und er mußte das
Ding an jemand anders überreichen, der vor ihm gelebt hatte. Soviel verstand er inzwischen.
Doch offensichtlich steckte noch mehr hinter diesem Amt als das rückwärtige Leben. Bestimmt hatte
Chronos Pflichten zu erfüllen - und folglich mußte Chronos auch eine Beziehung zur wirklichen
Welt herstellen können. Dies ermöglichte ihm die Sanduhr.
Fragte sich nur, wie!
Er studierte das Instrument. Es waren keine Bedienungselemente daran zu erkennen. Er drehte es um
- und erlitt einen erschütternden Schock, der seinen ganzen Körper durchzuckte. Hastig drehte er
es wieder um, und die Normalität war wieder hergestellt.
Er begriff, was geschehen war. Wenn die Sanduhr sein Leben maß, so bedeutete das Umdrehen der
Sanduhr die Umkehr seines Lebens. Er würde wieder aufheben, was er soeben getan hatte und an den
Augenblick seiner Amtsübernahme zurückkehren, wenige Minuten von hier entfernt. Der Schock
beruhte darauf, daß das Rückwärtsleben biologisch nicht normal war; sein Blut würde rückwärts
fließen und seine Verdauung würde sich ebenso umkehren. Er würde seinen freien Willen verlieren,
das eben erst erschaffene Gespenst zerstören - und wozu? Um einen Rückzieher von der
Verpflichtung zu machen, die er eingegangen war, als er die Sanduhr übernahm? Nein, das war nicht
seine Art! Er würde sein Amt bis zum Ende ausüben - was immer das bedeuten mochte.
»Sning, gibt es auch andere Möglichkeiten, die meinen Status berühren?« fragte er den Ring.
Druck.
»Obwohl es keine Bedienungselemente an der Sanduhr
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