Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
Schließlich tauschten die beiden Hauptfäden
ihren Lauf miteinander aus, und Cedrics endete.
Das war sein Tod anstelle des ihren.
Endlich löste sich auch ihr Faden von Juniors und verblaßte. Er war aber nicht abgeschnitten,
sondern wurde lediglich unsichtbar. Ihre Annahme des Schicksalsaspekts Clotho. Seine
Beschaffenheit veränderte sich: Daphne. Niobes sterbliches Fleisch hatte die Welt nicht
verlassen, nur ihr Geist.
»Du siehst also, daß sich im Webteppich nur noch ein Faden befindet, wo zuvor zwei gewesen sind«,
schloß Lachesis. »Und dieser ist anders als die anderen. Wir haben ihn auf eine solche Weise
eingeknüpft, daß niemand, der diesen Teil des Gewebes nicht äußerst genau untersucht, erkennen
wird, daß überhaupt eine Veränderung stattgefunden hat. Der Teppich als Ganzes jedoch ist im
Prinzip unverändert, sein innerer Zusammenhang ist nicht verlorengegangen.«
»Aber Cedric...«
»Inkarnationen machen keine Politik. Wir vermuten, daß Satan deine Annahme des Schicksalaspekts
vorhergesehen und versucht hat, dies zu verhindern. In diesem Punkt ist er gescheitert, doch in
der Regel hat es seinen Preis, wenn man die Pläne des Fürsten des Bösen vereitelt.«
»Dann kann Satan die Sterblichen also vor Ablauf der ihnen bestimmten Zeit aus dem Leben
zwingen?«
Lachesis seufzte.
»Niobe, unser Firmament ist nicht vollkommen. Vor Urzeiten haben Gott und Satan einen Bund
geschlossen, der besagt, daß keiner von beiden sich in das Tun der sterblichen Menschheit
einmischen wird. Dahinter steht der Gedanke, daß jede Seele die Chance erhält, aus ihrem Leben zu
machen, was sie für richtig hält; und jene Seelen, die sich als würdig erweisen, in den Himmel zu
kommen, werden dort hingelangen, während die anderen, welche die Hölle verdient haben, eben
dorthin geraten. Die ganze sterbliche Existenz ist lediglich eine Art Prüfstein für die
Einordnung der Seelen, was auch ein Grund dafür ist, weshalb ein Sterblicher nicht ewig leben
darf; das würde den Webteppich durcheinanderbringen und seine Funktion zunichte machen.
Allerdings gab es da noch ein Schlupfloch.«
Lachesis wandte sich vom Spiegel ab und begab sich in die Küche des Heims, um eine Mahlzeit
zuzubereiten. Niobe fürchtete schon fast, daß sich in der Speisekammer dieser Spinne irgendeine
riesige, saftige Fliege zum Verzehr befinden könnte, doch das Essen war ganz normal. Sie merkte,
daß die Schicksalsgöttin, anders als einige der anderen Inkarnationen, keine Dienstboten hatte.
Als Frau oder als drei Frauen zog sie es vor, für ihren Haushalt selbst zu sorgen. Niobe war das
recht.
»Als Inkarnation des Guten tut Gott natürlich das, was rechtens ist; er hält sich an die
Vereinbarung«, fuhr Lachesis fort, während sie arbeitete. »Satan, der die Inkarnation des Bösen
ist, tut von Natur aus das, was unrechtens ist, er betrügt. Deshalb mischt er sich auch ständig
in die Geschäfte der Sterblichen ein, reißt die Fäden aus und erzeugt unendlich viel Unheil. Wir
anderen Inkarnationen, die wir eigentlich neutral sein sollten, müssen uns folglich gegen Satan
stellen, nur damit wir auch tatsächlich tun können, was uns obliegt. Die Antwort auf deine Frage
lautet also: Satan sollte die Sterblichen eigentlich nicht vor Ablauf ihrer vorbestimmten
Lebensspanne holen, aber er tut es doch. Wir versuchen, dies zu verhindern, aber dein
eigener Fall ist ein Paradebeispiel für die Probleme, die wir oft dabei haben. Es ist nicht
leicht, mit dem Bösen umzugehen, was wir alle schon zu unserem Leidwesen erfahren haben. Wir
hätten dich und deinen Mann sicher gerettet, wenn wir gekonnt hätten, doch Satan hat seine Helfer
auch in der Verwaltung des Fegefeuers sitzen, und er kennt nun mal keinerlei Skrupel. Der Tod
deines Mannes war eine Verzerrung dessen, was eigentlich hätte sein sollen, aber er ist nun
einmal geschehen.«
Und damit mußte sich Niobe wider Willen zufrieden geben. Doch es stärkte ihre Entschlossenheit,
mit Satan einmal abzurechnen. Irgendwie.
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5. Im Nichts
Niobe brauchte einige Tage, bis sie mit den Routineaufgaben ihres Amts vertraut war. Sie
lernte, sich an Fäden zu bewegen, die sich auf magische Weise nach ihrem Willen auswarfen, damit
sie sich in schnellster Zeit an jeden beliebigen Ort der Weltkugel begeben konnte. Das waren die
Reisefäden, die nicht identisch mit den Lebensfäden waren. Sie erschienen, wenn sie gebraucht
wurden, und verschwanden danach wieder. Sie lernte, wie
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