Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
weiß sie es.«
»Und wer ist das?«
»Gäa. Du würdest sie die Inkarnation der Natur nennen.«
»Die Natur.« Er nickte. »Ja... ein solches Wesen müßte es wissen.«
»Ich möchte, daß du dann bei mir bist, damit sie uns beide sehen kann.«
Er lachte angespannt. »Niobe, dein Reich kann ich nicht betreten!«
»Doch, das kannst du, wenn ich dich mitnehme. Wirst du es tun?«
Er überlegte, dann zuckte er die Schultern. »Ich bin auch der Meinung, daß diese Sache auf die
eine oder andere Weise erledigt werden sollte. Wenn du mich mitnehmen kannst, dann komme ich auch
mit.«
Sie reichte ihm die Hand. »Dann werden wir es tun.«
Er wirkte erschrocken. »Jetzt?«
»Ich habe gerade Zeit, du nicht?«
»Es ist Wochenende.« Sie nahm seine Hand. »Das wird eine erinnerungswürdige Reise.«
»Das befürchte ich auch.« Doch er lächelte.
Sie glitten durch die Wolkenbank unterhalb des Fegefeuers und hielten vor dem Zuhause der
Schicksalsgöttin. »Hier lebe ich jetzt.«
»In einem riesigen Spinnennetz?«
Sie nahm ihre Spinnengestalt an und wurde danach wieder zu einem Menschen. »Ich bin keine
gewöhnliche Frau mehr.«
»Das warst du noch nie«, meinte er.
»Nun bringe ich dich zu Gäas grünem Heim.« Sie schleuderte einen weiteren Reisefaden in die
Ferne, nahm ihn erneut bei der Hand und glitt mit ihm über die schöne Landschaft des Fegefeuers.
So kamen sie am Rande des Wohnsitzes der Grünen Mutter an. Vor ihnen erstreckte sich der Abhang
eines Hügels in ein breites Tal, das mit wogendem Getreide bedeckt war. Auf der
gegenüberliegenden Talanhöhe stand Gäas Pflanzenpalast. Sie mußten nur das Tal durchqueren.
Sie machten sich an den Abstieg. »Kannst du kein Netz auf die andere Seite werfen?« fragte
Pacian.
»Hier nicht. Gäa schützt ihre Umgebung, deshalb kann es ein schwieriges Problem sein, an sie
heranzukommen.«
»Bist du noch nie hiergewesen?«
»O doch, viele Male. Wir beraten uns häufig. Aber diesmal habe ich dich dabei, deshalb ist ihr
Verteidigungssystem aktiviert worden. Es ist einfach ihre Art.«
»Ja, die Natur hat so ihre eigene Art«, stimmte er zu. »Das haben alle Inkarnationen.«
In gespieltem Erstaunen schüttelte er den Kopf. »Und all das hoch oben in den Wolken!«
»Wir befinden uns hier nicht in den Wolken, es sieht lediglich so aus. Das Fegefeuer liegt
zwischen Himmel und Hölle, aber es ist unmöglich, die genaue geographische Lage zu bestimmen.
Weil es bequemer ist, glauben wir, daß der Himmel oben liegt, die Hölle unten und das Fegefeuer
dazwischen.«
»Und ich nehme an, daß all dies auch nicht wirklich feststofflich ist.«
»Es ist unbestimmt. Du und ich sind zwar lebendig und feststofflich, aber viele der anderen, die
so aussehen, sind weder das eine noch das andere.«
Er hielt inne und wandte sich zu ihr um. »Niobe, ich bin froh, nach all diesen Jahren zu
erfahren, wo du gewesen bist. Nun verstehe ich, warum du so wenig Zeit für die Angelegenheiten
der Sterblichen hattest.«
»Ich hatte sehr wohl Zeit für die Angelegenheiten der Sterblichen!« verteidigte sie sich. »Ich
habe nämlich die Lebensfäden gesponnen!«
»Natürlich«, stimmte er zu, und sie fühlte sich schuldig, weil sie so scharf reagiert hatte. Er
war ein guter und anständiger Mann, der nicht auf Streit aus war. Es war wohl kaum seine Schuld,
daß sie in ihm in gewissem Sinne immer noch einen zwölfjährigen Jungen sah. Sie hatte sich nicht
verändert, jedenfalls körperlich nicht, er dagegen sehr wohl.
Sie erreichten den Boden des Tals und stapften in das hohe Gras hinein. Zuerst war es noch
kniehoch, beim zweiten Schritt schon reichte es bis zur Hüfte, beim dritten bis zur Brust.
Sie blieben stehen. »Ach, Pacian«, sagte Niobe. »Ich habe das Hindernisrennen ganz vergessen. Es
ist nicht nur einfach eine Frage des Hinübergehens. Es läßt sich überhaupt nicht feststellen, wie
tief dieses Tal wirklich ist.«
»Es könnte also auch ein V-förmiges Tal sein, von horizontalem Gras verdeckt?«
»Das könnte durchaus sein. Gäa kann mit Pflanzen alles machen, was sie will.«
»Dann können wir eben unter dem Gras weitergehen«, meinte er. »Es ist ja nicht weit.«
»Das werden wir wohl müssen«, meinte sie unsicher. Sie schritten weiter. Schon bald war das Gras
doppelt so hoch wie sie, und seine langen, dünnen Stengel gaben geschmeidig nach, so daß die
breiteren Halme weiter oben unbeweglich blieben. Je tiefer sie hineinkamen, um so schwächer wurde
das Licht. Es war, als würden sie
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