Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
hatte, und nun hatte man sie zur Lachesis bestimmt, weil die drei Aspekte
sich darin einig gewesen waren, daß sie gebraucht wurde.
Clotho ließ sich an einem Faden auf die Westküste Amerikas herab. »Was liegt vor dir?«
»Die wahre Liebe«, erwiderte Lisa entzückt. »Im vergangenen Monat war ich eines Tages unterwegs
in den Bergen, als ein junger Mann auf einem fliegenden Teppich zu mir herabschwebte und mich
nach dem Weg fragte. Er hatte einen Akzent, den ich erkannte. ›Du stammst aus Ungarn!‹ rief ich.
Er war völlig verblüfft. ›Meine Eltern stammten von dort‹, sagte er. ›Meine Mutter ging gerade
mit mir schwanger, als sie flohen, das war während...‹, und er zuckte mit den Achseln, denn in
Amerika verstehen nur wenige, wie es in Budapest war. Ich bin auch von dort, sagte ich zu ihm und
sprach ihn in unserer Sprache an. ›Warte!‹ rief er. ›Das spreche ich nicht sehr gut! Ich habe ja
mein ganzes Leben hier verbracht. Doch er hat mich sehr gut verstanden. Nun will er mich
heiraten. Er weiß, was mit mir los ist, daß ich fast doppelt so alt bin wie er. Das haben wir
seiner Mutter nicht erzählt, dafür hätte sie kein Verständnis gehabt -, also erzählte ich ihr
statt dessen, daß meine eigene Mutter mir davon berichtet habe, wie es damals gewesen sei, auf
der Flucht, und dann erzählte ich ihr meine eigene Geschichte in unserer Muttersprache, als sei
es die meiner Mutter und ich glaube sogar, es hätte tatsächlich die meiner Mutter sein können,
wenn sie während der Invasion unserer Heimat nicht gestorben wäre. Bei diesen Erinnerungen ist
seine Mutter in Tränen ausgebrochen, und sie hat mich so sehr an meine erinnert, daß auch ich
weinte! Ich glaube, sie möchte noch sehr viel mehr, daß ihr Sohn mich heiratet, als er selbst!
Ich werde zu ihnen ziehen und weiß, daß ich mit meinen angeheirateten Verwandten niemals Ärger
haben werde!«
Niobe mochte die Frage zwar überhaupt nicht stellen, doch sie hatte das Gefühl, daß es sein
mußte. »Und doch glaubst du, daß dies das Werk des... des Unbekannten ist, um dich aus dem Weg zu
schaffen?«
»Ja. Lachesis, deine Vorgängerin, hat bemerkt, wie er diesen Faden umgelegt hat, so daß mein
Bräutigam sich gerade in jenem Augenblick in den Bergen aufhielt, als ich dort unterwegs war,
damit wir uns treffen konnten. Aber trotz aller Manipulation ist die Person doch
aufrichtig. Sie hat nicht viel Böses an sich. Der Ungenannte weiß genau, daß ich keinen bösen
Mann nehmen würde. Einen Aspekt der Schicksalsgöttin kann man nicht mit Katzendreck täuschen! Die
Absicht mag also böse ein, doch das Angebot selbst ist gut. Schließlich ist ja nicht mir Böses beschieden, sondern dir.«
Ja, so war es wohl. Die Wege Satans waren raffiniert, aber wirksam. Doch vielleicht würde der
Vater der Lüge diesmal feststellen, daß man ihn überlistet hatte, denn die Inkarnation des
Schicksals war kein unschuldiges, sterbliches Wesen, das man durch Manipulationen des Zufalls
täuschen konnte.
Schon gar nicht, wenn ein ehemaliger Aspekt in sein Amt zurückkehrte, mit Wissen aus erster Hand
um Satans Methoden. Auf dich wartet noch eine hübsche Überraschung, mein Böser! dachte
sie.
Sie gelangten in ein unbewohntes Gebiet. Dort ging eine junge Frau gerade in der Abenddämmerung
eine hohe Klippe entlang, die über dem tosenden Meer emporragte. Es war eine Asiatin und wirkte
sehr hübsch.
Lisa stellte sich ihr in den Weg. »Wohin gehst du, einsames Mädchen?«
»Was tut es noch zur Sache? Mein Leben ist vorbei.«
»Aber du bist doch jung, hübsch und intelligent«, protestierte Lisa. »Du hast noch so viel, für
das es sich zu leben lohnt!« Offensichtlich hatte die Schicksalsgöttin den Faden dieser Frau
genau überprüft.
»Nein, ich habe nichts mehr, für das es sich zu leben lohnen würde«, widersprach das Mädchen.
»Meine Familie hat mich verstoßen, weil ich mich nicht an die alten Sitten gehalten habe, weil
ich zu eigenwillig und ungestüm bin, und nun habe ich keine Familie mehr.«
Niobe wußte, daß die östlichen Kulturen sehr streng sein konnten, wenn es um ihre Tradition ging,
und daß es manchmal Konflikte mit den Sitten des Westens gab. Wahrscheinlich hatte das Mädchen
sich geweigert, den Mann zu heiraten, den ihre Familie für sie ausgesucht hatte. Das konnte Niobe
gut verstehen, auch wenn ihre eigene erzwungene Ehe eine gute gewesen war. Sie mochte es zwar
nicht gerne zugeben, doch das Urteil von Eltern
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