Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
Fremde im Schaukelstuhl sah, blieb der
kleine Junge abrupt stehen.
Niobe übergab den Körper der neuen Atropos. »Ist schon in Ordnung, Jimmy«, sagte sie. »Ist nur
Besuch.«
»Ach so.« Wie eingeschüchtert wich der Junge zurück.
»Jimmy, ich muß jetzt langsam gehen«, sagte die neue Atropos. »Du könntest mir mal einen großen
Gefallen tun und diese Dame zur Bushaltestelle begleiten. Sag den Eltern, daß ich fort
bin.«
»Fort, wohin?«
»Einfach nur fort, Jimmy. Sie werden es schon verstehen.«
»In Ordnung.« Nachdem man ihm diese wichtige Aufgabe übertragen hatte, führte der Junge die
ehemalige Atropos über die Straße.
Niobe übernahm erneut den Körper, wechselte in die Spinnengestalt über und kletterte an einem
Faden empor. G anz hübscher Trick! dachte die neue Atropos. Normalerweise schlage ich
Insekten immer tot.
»Jetzt nicht mehr«, sagte Niobe mit ihrer Spinnenstimme. »Du wirst diesen Trick auch noch
lernen.«
Sie brachten sie in ihr Heim und nahmen wieder menschliche Gestalt an. »Genaugenommen sollten wir
jetzt erst einmal die Grundbedingungen unseres Amts einstudieren«, sagte Niobe. »Denn bald
könnten die Dinge recht hektisch werden.«
Hektisch? fragten die beiden anderen.
Mit knappen Worten erklärte Niobe, wie Satan dafür gesorgt hatte, daß die drei neuen Aspekte des
Schicksals zueinander gefunden hatten. »Für mich ist das nur eine Neuauflage!« schloß sie. »Ich
hatte bereits mehrere Jahrzehnte Erfahrung als Clotho, bis vor fünfundzwanzig Jahren. Wir hoffen,
daß Satan das nicht weiß.« Sie hatte keine Bedenken, den Fürsten des Bösen hier in ihrem eigenen
Heim beim Namen zu nennen, da sie dort vor ungebetenen Eindringlingen geschützt waren. Im eigenen
Heim war jede Inkarnation unanfechtbar. »Wir können es uns zu Anfang also erlauben, ein wenig
herumzuprobieren. Je ungeschickter wir am Anfang sind, desto mehr wird er sich in Sicherheit
wiegen, was ihn möglicherweise zur Unvorsichtigkeit verleitet. Andererseits müssen wir aber auch
darauf achten, nicht zuviel Schaden anzurichten. Vergessen wir nie, daß wir hier Menschenleben
lenken.«
Sie übten den Gebrauch des gemeinsamen Mundes, nahmen die Spinnengestalt an, kletterten an dem
Netz empor und probierten die Reisefäden, mit deren Hilfe sie schnell von einem Ort zum anderen
gelangen konnten. Dann erklärte Niobe die drei Hauptaufgaben: wie Clotho die Lebensfäden zu
spinnen hatte, während Lachesis sie abmaß und Atropos sie auf die richtige Länge zuschnitt.
»Ich kenne meine eigene Aufgabe kaum«, gestand sie.
»Deshalb lerne ich auch noch immer. Es ist durchaus möglich, daß ich die Fadenlängen für
bestimmte Teile des Webteppichs falsch einschätze, was dazu führen wird, was die Sterblichen
seltsame Zufälle nennen. Wir werden uns keine allzu große Mühe geben müssen, um ein wenig
unbeholfen zu erscheinen.«
»Wir könnten unser Debüt eigentlich mit einer richtig schönen Stümperei geben«, meinte Atropos.
Sie schien einen Sinn für das Wesentliche zu haben; die frühere Atropos hatte ihre Nachfolgerin
gut ausgewählt.
Clotho versuchte sich im Spinnen. Da sie als Sterbliche keine Erfahrung damit gehabt hatte, war
sie etwas ungeschickt. Man hatte sie eher wegen ihrer schnellen Abrufbarkeit und ihres
kämpferischen Geistes als wegen ihrer Geschicklichkeit ausgewählt, denn es hatte nur wenig Zeit
zur Verfügung gestanden. Niobe mußte sie sorgfältig anleiten, dennoch wurde der Faden etwas lose
und unregelmäßig. Doch sie schaffte die Arbeit, wenn auch nur langsam.
Nun war Atropos an der Reihe, es mit dem Beschneiden der Fäden zu versuchen. Niobe maß einen
Faden ab, dann überließ sie den Körper der alten Frau. Atropos nahm die kleine Schere und schnitt
an einem Ende etwas ab, dann am anderen. »Hoppla«, sagte sie. »Der ist wohl zu lang!« Sie schnitt
noch ein weiteres kleines Stück am Ende ab. »So... das müßte ungefähr richtig sein.«
Sie bereiteten etwa zwanzig Fäden vor, an denen sie eine Menge herumschnippeln mußten, bis sie
die richtige Länge hatten.
»Wenn wir erst mehr Erfahrung haben«, sagte Niobe, als sie zum Webteppich ging, um die Fäden zu
plazieren, »wird es zu einer Massenabfertigung werden. Es gibt viel zu viele Leben auf der Erde,
als daß wir uns um jedes einzelne kümmern könnten.« Sie fügte die Fäden ein doch diese fielen
wieder heraus.
Das war seltsam. »Bei der Lachesis, die ich früher kannte, schienen sie immer sofort
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