Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
Augen
waren gerötet. Ohne ihren Geliebten fühlte sie sich verloren. Der Prinz hatte sie gerade wegen
dieser Schwäche lieben gelernt, denn sie brauchte ihn so sehr.
Hinter dem Gesicht zeigte sich auf dem Spiegel ein geöffnetes Fenster. Und auf dessen Sims lag
ihr grünes Taschentuch, daß sie dort hingelegt hatte, um es nach dem vielen Weinen trocknen zu
lassen.
Mym befahl dem Schwert: Nach draußen! So schwebte er rasch hinaus und um den Palast herum,
bis er an der Nordseite ein hochgelegenes Fenster entdeckte, auf dessen Sims ein grünes Tuch lag.
Er lenkte das Schwert dorthin, flog durch das geöffnete Fenster und kam sanft auf dem Boden
auf.
Entzücken fuhr erschrocken herum, erkannte ihn nach einem kurzen Blick und brach auf der Stelle
ohnmächtig zusammen.
Der Prinz lief zu ihr und fing sie auf, bevor sie zu Boden fiel. »Geliebte!« seufzte er und küßte
sie so lange, bis ihre Sinne wiederkehrten.
»Mym!« hauchte sie.
»Ich bin gekommen, dich zu holen«, sang er. »Doch vorher muß ich dir soviel erzählen.«
»Halte mich einfach nur fest«, flüsterte sie. »Denn ich... ach, ohne dich... Ich...«
»Ich habe den Dolch gesehen, Geliebte. Den brauchst du nun ganz gewiß nicht mehr.«
Er hielt sie in den Armen und erzählte ihr, wie er zur Inkarnation des Krieges geworden war, wie
er das rote Schwert erhalten hatte, und daß er nun über Mächte und Fähigkeiten gebot, mit denen
er seine Liebste mitnehmen konnte, falls sie mit ihm in die Fremde ziehen wollte. »Nimm mich mit,
wohin du willst!« rief sie sofort.
»Aber das bedeutet ein völlig neues Leben für dich«, warnte er. »Du wärst dann keine geachtete
Prinzessin mehr.«
Sie sah ihn nur an, und er erkannte in diesem Blick, daß ihr das alles gleichgültig war, wenn sie
nur an seiner Seite sein konnte.
»Dann wollen wir doch mal sehen, wie gut das Schwert mit uns beiden fertig wird«, sang er
fröhlich.
»Dürfte ich noch etwas zu bedenken geben«, meldete sich eine Nebelsäule zu Wort, die wie aus dem
Nichts in der Kammer aufgetaucht war.
Mym beruhigte Entzücken, die sich furchtbar darüber erschrak. »Dies ist Gäa, die Inkarnation der
Natur. Sie hat mir sehr geholfen, mit meinem neuen Amt und meinen neuen Fähigkeiten vertraut zu
werden.«
»Wenn Ihr die Prinzessin einfach so entführt«, erklärte Natur, »wird ihr Vater annehmen, daß sie
einer Verschwörung zum Opfer gefallen sei. Und er wird keinen Moment zögern, Euer Heimatreich
dahinter zu vermuten, Prinz. Und das würde zu Verwicklungen führen, die Ihr vielleicht lieber
vermeiden solltet.«
»Ich möchte diesem ganzen idiotischen Krieg ein Ende bereiten, indem ich Entzücken heirate!«
schimpfte Mym, »wenn mein Vater doch bloß nicht...«
»Vielleicht können wir Euren Wunsch in Erfüllung gehen lassen«, sagte Gäa. »Vor allem müssen wir
dafür sorgen, daß sich die Gemüter der beteiligten Fürsten beruhigen. Was müßte geschehen, daß
sich Euer Vater mit der Heirat von Euch, Entzücken, mit dem Prinzen von Raschastan einverstanden
erklärt?«
»Ich werde niemals diesen Prinzen heiraten!« begann Entzücken zornig, doch Gäa brachte sie mit
einem ausgestreckten Finger zum Schweigen.
»Eine deutlich verringerte Mitgift«, sagte die Prinzessin schließlich leise.
Gäa wandte sich an Mym. »Und wenn Ihr in die Heirat mit der Prinzessin von Radschastan
einwilligen würdet, dabei aber zur Bedingung machtet, daß man deren Mitgift verringern sollte und
das gleiche mit der Mitgift Eurer ehemaligen Verlobten zu geschehen habe?«
Mym begriff langsam, was die Inkarnation der Natur vorhatte. »Ich bin mir sicher, daß der
Radschah von Radschastan zustimmen würde. Er fürchtet ohnehin, eine ungeheuer hohe Mitgift
entrichten zu müssen. Aber davon abgesehen werde ich niemals...«
Gäa unterbrach ihn: »Würde eine Eurer Zofen Euren Platz einnehmen, Entzücken?«
Die Prinzessin lächelte. »Jede Zofe träumt davon, einmal eine richtige Prinzessin sein zu
können.«
»Dann ruft diejenige, die am ehesten geeignet wäre, Euren Platz einzunehmen.«
»Da gibt es eine Zofe«, sagte Entzücken, »die mich bei den langweiligen Paraden vertritt. Doch
aus der Nähe betrachtet, ähnelt sie mir nicht sehr.«
»Ruft sie.«
Entzücken zog an einer Schnur. Wenig später stand eine junge Frau in der Tür. »Honigwabe, ich
möchte dich um einen Gefallen bitten«, verkündete die Prinzessin. »Hör gut zu, was diese Frau dir
zu sagen hat.«
Gäa hatte inzwischen die Form einer
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