Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
vernunftbegabt
bezeichnet. Er richtet sich viel lieber nach seinen dunklen Trieben und selbstsüchtigen
Empfindungen. Er verfällt nur dann auf die Vernunft, wenn ihm das nützlich erscheint. Steht ihm
diese Vernunft jedoch im Weg, besinnt er sich auf eine neue, bis sie zu seinen Wünschen paßt.
Nein, Prinz, am Ende bleibt nur ein Mechanismus, das Zusammenleben der Menschen halbwegs zu
ordnen: der Krieg.«
»Aber gerade der Krieg ist doch das Gegenteil von Fairneß«, widersprach Mym.
»Nur wenn man ihn mißbraucht«, erklärte der Teufel. »Und darüber wacht die Inkarnation des
Krieges.«
Mym dachte an die Schlacht zurück. »Ich fürchte, ich habe mich heute nicht sehr gut
angestellt.«
»Auch Ihr werdet Eure Erfahrung gewinnen. Wir alle waren nicht vom ersten Tag an perfekt. Niemand
macht Euch deswegen einen Vorwurf.«
»Dennoch würde ich lieber den Krieg ganz abschaffen, auch wenn es dann für mich keine Schlachten
mehr zu überwachen gäbe.«
»Damit würdet Ihr Euer Amt ad absurdum führen. Es gibt sicher viel sinnloses Abschlachten, aber
es gibt auch notwendige Kriege. Vergleicht den Krieg mit dem Abbrennen von einem brachliegenden
Feld. Man reinigt es damit von Unkraut und Nagern und düngt es danach mit der Asche, um aus dem
Untergang neues Wachstum zu schaffen. Genauso darf man beim Krieg nicht das Töten allein sehen,
denn durch das Töten, ein notwendiger Begleiter des Krieges, wird etwas wichtiges Neues
geschaffen.«
»Nicht alles Neue ist wünschenswert, und wenn ein Krieg es hervorruft...«
»Dann vergleicht den Krieg mit dem Skalpell eines Chirurgen, das Krebswucherungen aus dem Fleisch
schneidet. Natürlich wird dabei auch etwas gesundes Fleisch entfernt, doch dieser Verlust ist ein
sehr mäßiges Opfer im Vergleich zur Gesundheit, die damit gewonnen wird.«
»Aber der Krieg ist doch keine chirurgische Operation«, wandte Mym ein. »Krieg ist Schlächterei,
ist Massenabschlachten. Wenn ich an das Gemetzel des heutigen Tages zurückdenke...«
»Alles kann sich als furchtbar erweisen, wenn es nicht überwacht wird. Das Feuer bietet dafür ein
gutes Beispiel. Feuer kann der größte Freund oder der größte Feind des Menschen sein. Ebenso das
Schneiden: es kann zu einem Blutbad entarten, es kann aber auch die höchste Kunstform, nämlich
den präzisen chirurgischen Eingriff erreichen. Man muß dem Mißbrauch entgegentreten, dann
verliert eine Sache ihren Schrecken.«
Mym hütete sich, sich auf die Logik Satans einzulassen. »Trotzdem möchte ich den Krieg
abschaffen.«
»Aber das könnt Ihr nicht!« sagte Satan. »Und wenn Ihr ihn richtig begreifen würdet, wolltet Ihr
das auch nicht mehr.«
»Dann erklärt mir doch bitte, unter welchen Motiven ich meine neuen Fähigkeiten nutzen soll«,
erwiderte der Prinz unfreundlich.
»Aber gern. Schließlich wollen wir Inkarnationen uns gegenseitig helfen. Der Krieg läßt sich
nicht abschaffen, weil er ein Symptom ist, das sichtbare Symptom eines darunter liegenden, viel
schwereren Leidens. Erst wenn man dieses Leiden kuriert, darf man darauf hoffen, auch den Krieg
abzuschaffen. Aber beim gegenwärtigen Stand der Dinge vermögt Ihr nicht mehr zu tun, als den
Krieg einzudämmen oder ihn zu entfachen.«
Mym erinnerte sich an seine großen Schwierigkeiten, die Schlacht zwischen Gudscherat und
Maharaschtra zu beenden. Offenbar standen die Menschen unter einer Art Kampfeslust, die jeder
Vernunft Hohn sprach. »Und was ist das für ein tiefer liegendes Leiden?«
»Die menschliche Natur«, antwortete der Teufel. »Der Mensch ist nicht perfekt. Wäre er perfekt,
brauchte man keinen Himmel und keine Hölle mehr, wären Gott und meine Wenigkeit überflüssig. Im
Menschen sind sowohl das Gute wie auch das Böse. Und während seines ganzen Lebens muß der Mensch
versuchen, diese beiden Elemente in ihm in eine Art Gleichgewicht zu bringen, beziehungsweise
eine Gewichtung herzustellen, damit er nach seinem Ableben eingeschätzt und entweder zu mir oder
zu dem Anderen geschickt werden kann. Unglücklicherweise wird der Mensch bei dieser inneren
Gewichtung von Verlockungen und Spannungen gestört. Wenn Menschen sich zu Nationen
zusammenschließen, nimmt der Staatskörper die Eigenschaften eines Individuums an. Das Land ist
dann Spannungen unterworfen, die so stark werden können, daß sie sich in einem Krieg Luft
verschaffen. Wenn Ihr nun den Krieg abschaffen wollt, müßt Ihr zuerst die gesellschaftlichen
Spannungen beseitigen. Doch
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