Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
wenn Ihr diese Spannungen tatsächlich beseitigen könntet, brauchte
der Mensch sich nicht mehr um eine Gewichtung von Gut und Böse zu bemühen. Sein Lebenssinn wäre
nicht mehr gegeben, sein Nachleben hätte alle Existenzberechtigung verloren. Daher ist es nicht
Eure Aufgabe, als Inkarnation des Krieges für Frieden in aller Welt zu sorgen.
Euer Tun sollte sich danach ausrichten, die sichtbarsten Auswirkungen sozialer Spannungen zu
überwachen und zu steuern.«
Mym traute Satan immer noch nicht über den Weg, doch seine Argumentation beeindruckte den
Prinzen. »Ich werde darüber nachdenken«, erklärte er widerwillig.
»Da bin ich mir ganz sicher, Prinz, denn Ihr erscheint mir als ein weiser Mann, der seinem Amt
einen Sinn geben will. Ich bin jedenfalls hocherfreut Euch in einigen Punkten Klarheit verschafft
zu haben.«
»Ich hätte noch eine Frage«, sagte Mym, der dieses Rätsel jetzt gelöst haben wollte, »wie kommt
es, daß ich jetzt und hier nicht stottere?«
»Ihr befindet Euch hier auf meinem Territorium. Dieser Garten unterliegt nicht den Naturgesetzen,
sondern meinen Vorstellungen. Und ich habe kein Interesse daran, daß sich jemand von Eurem Stand
hier unwohl fühlen sollte. Daher könnt Ihr hier normal sprechen.«
»Eigenartig, ich habe mein ganzes Leben lang und selbst hier im Fegefeuer diesen Sprachfehler
gehabt.«
»Das ist eben der Unterschied zwischen dem Erdenleben und dem Fegefeuer auf der einen und meinem
Reich auf der anderen Seite. Es gibt noch so vieles, das ich Euch anbieten könnte; beileibe nicht
nur ein paar ansehnliche Konkubinen.«
»Mir etwas anbieten? Zu welchem Preis?«
»Mir wären schon gutnachbarliche Beziehungen der schönste Lohn«, antwortete der Teufel. »Schickt
Entzücken morgen hierher, damit ich ihr einige artige Geschenke machen kann. Sie wird dann gewiß
ihrem Namen alle Ehre machen.«
»Entzücken benötigt keine Dämonen für ein Techtelmechtel«, murrte Mym unwillig.
»Aber, aber, Prinz!« lachte Satan. »Ich weiß sehr wohl, was ihr fehlt: feste, substanzhafte
Nahrung, damit sie Euch nicht täglich verlassen muß, um sich auf der Erde zu stärken.«
»Ihr besitzt hier solche Nahrung?« fragte Mym plötzlich interessiert.
Satan machte nur eine leichte Handbewegung, und schon erschien eine Tafel, die sich unter der
Last der Speisen bog.
»Sehr schön«, bemerkte der Prinz vorsichtig, »doch woher soll ich wissen, ob Eure Nahrung
wirklich nährt, ist doch auch das Essen von Fegefeuer mit bloßem Auge nicht von dem der Erde zu
unterscheiden?«
»Ganz einfach«, lächelte der Gottlose, »indem Ihr davon kostet.«
Mym überlegte. Offenbar hatte der Versucher wenig Anlaß, ihn schon jetzt zu täuschen. Und was der
Teufel bislang anzubieten hatte, war nicht ohne Reiz: der wunderbare Garten, die Beseitigung
seines Sprachfehlers und nicht zuletzt Speisen für Entzücken.
Wenn das alles nur Gastgeschenke für gutnachbarliche Beziehungen waren, wollte der Prinz sich
nicht ungnädig geben.
Er verabschiedete sich und kehrte dann zu seinem Palast zurück. Als er sein Heim betrat, mußte er
feststellen, daß sein Sprachfehler sich wieder eingestellt hatte.
Am Morgen berührte er sein Schwert und wünschte, zum Erdenhaus von Luna gebracht zu werden. Eben
stand er noch im Palast, und im nächsten Moment befand er sich schon vor Lunas Tür. Das Tempo
seiner Reise verwirrte ihn ein wenig; doch dieses Gefühl verging rasch. Er klopfte an.
Entzücken hatte ihn schon erwartet. »Oh, es ist so schön hier!« rief sie und warf ihm die Arme um
den Hals. »Ach, wie habe ich dich vermißt!«
Luna erschien hinter ihr. »Das ist die Art der Frauen«, erklärte sie. »Wir empfinden gleichzeitig
Glück und Kummer.«
»Ich bringe sie bald zurück«, sang der Prinz. Dann berührte er das rote Schwert, und schon waren
er und Entzücken wieder in seinem Palast.
Erst jetzt löste sie ihre Arme von seinem Hals und wollte gleich ins Schlafzimmer eilen, doch er
hielt sie zurück. »Auch wenn Frauen es kaum für möglich halten möchten«, erklärte er, »aber es
gibt gelegentlich Dinge, die einem Mann wichtiger erscheinen, als das Bett zu teilen. Komm mit,
ich will dir etwas zeigen.«
Verwundert folgte sie ihm in den Garten. Sie liefen den Pfad entlang, bis sie in das Reich Satans
gerieten.
»Aber das war gestern noch nicht hier!« rief Entzücken. »Dort stand gestern eine Mauer!«
»Normalerweise wäre sie immer noch da«, bestätigte er, »aber seit gestern nacht hat
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