Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
verwandelte sich ihre Kleidung in ein Brautgewand mit Schleier und Schleppe. Auch der
Erzversucher veränderte sich. Er trug nun einen Frack und eine graue Weste. Wenn man von seiner
Farbe, dem Schwanz und den Hörnern absah, konnte man nicht anders, als ihn als Beau zu
bezeichnen. Und weiter ging sein Lied. Orb nahm nichts anderes mehr wahr.
Dann stellte sie sich in der Kirche neben ihn vor den Altar. Er nahm ihre Hand, und zusammen
blickten sie nach vorn, wo auf einmal ein Dämon in einer obszönen Verhöhnung des Priestergewands
stand: der infernalische Priester, der die beiden trauen sollte. Er hielt einen Dolch in der
Hand, und Orb besaß noch soviel Klarheit, um zu begreifen, was damit geschehen sollte: Die Klinge
würde ihren Arm und den von Satan ritzen, damit das Blut der Brautleute sich vermischte und sie
nach den Regeln dieser verderbten Welt getraut wurden.
Satan hob ihren Arm und zog den weißen Stoff zurück. Dann legte er seinen eigenen Unterarm frei.
Er umschloß ihre Hand und zwang sie auf den Altar. Der lästerliche Priester holte mit dem Dolch
aus.
Orb bekam einen solchen Schrecken, daß sie aus der Trance erwachte. Sie fing an, das Gegenlied zu
singen, das sie eben erst kennengelernt hatte.
Zuerst klang ihre Stimme leise und stockend, doch bald wurde sie von der Magie des Lieds
bestärkt.
Satan sang ebenfalls und wob um seine Braut das Netz der Unterwerfung. Orb gelang es, ihren Kopf
und ihren entblößten Arm freizubekommen, so daß der falsche Priester sie nicht mehr mit dem
Messer schneiden konnte. Doch damit war Schluß.
Der Rest ihres Körpers blieb gefangen. Sie kam sich vor wie in einem Kokon, in dem sie sich nur
ein wenig bewegen konnte.
Doch zumindest verhinderte ihr Lied die Vermählung... bis zu der Stelle, an der die zweite Stimme
einfallen mußte. Doch niemand war da, der sie bei dem Duett unterstützen konnte.
Unvermittelt trat Stille ein. Orb kam mit dem Lied nicht weiter, und der Teufel brauchte nicht
weiter zu singen, weil er sie schon so weit unter seinen Bann gebracht hatte. Wenn Orb sich jetzt
nicht befreien konnte, würde es ihr niemals mehr gelingen.
Sie versuchte weiterzusingen, doch brachte keinen Ton heraus. Sie konnte nicht ohne die
Antwortstimme fortfahren. Der Teufel wartete, und nach ein paar Minuten spielte ein hämisches
Grinsen um seinen Mund. Er wußte, daß sein Sieg bevorstand, während Orbs Hoffnung immer mehr
schwand. Jetzt spürte sie auch die eiskalte Hand des Wahnsinns in ihrem Kopf; denn ein
vollständiges Lied des Llanos wandte sich gegen den, der es heraufbeschworen hatte.
Orb suchte verzweifelt nach einer Magie, die sie noch anwenden könnte.
Satan nickte dem Priester zu. Der Dämon im liturgischen Gewand hob das Messer, als der Teufel
wieder Orbs Unterarm packte. Sie wollte dagegen ankämpfen, verharrte jedoch nur reglos.
Allein ihre Augen blieben frei, und so konnte sie wenigstens Tränen vergießen.
Die Klinge ritzte Satans Unterarm. Ein dünner Blutfaden lief über die rote Haut. Jetzt näherte
sich die Klinge Orb.
Plötzlich, weit entfernt hörte sie etwas.
War das vielleicht...?
Ja, die zweite Stimme zum Gegenlied! Natasha antwortete ihr! Die noch sehr leise Melodie war
mächtig genug, den Boden und die Wände zum Beben zu bewegen.
Und die Antwort schenkte Orb ihre Bewegungsfreiheit wieder. Sie war wieder an der Reihe zu
singen, und die ganze lästerliche Kirche geriet ins Wanken.
Satan sang kräftig dagegen an, doch sein Angriff auf Orb hatte sehr an Kraft verloren. Zwar
spürte sie immer noch den entsetzlichen Zugriff auf ihre Persönlichkeit, jetzt aber konnte sie
sich dagegen wehren.
Vorsichtig entfernte sie sich vom Altar und dem Messer des verderbten Priesters. Sie gelangte an
den Baum, an dem ihre Harfe lag. Ohne im Singen innezuhalten, bückte sie sich und hob das
Instrument auf. Beinahe fühlte sie sich schon in Sicherheit, aber die Gefahr des Wahnsinns war
immer noch nicht gebannt. Wenn Natasha nicht ein weiteres Mal antworten würde, wäre sie am Ende
doch noch verloren.
Ihr Part des Gegenlieds war beendet... und da erklang Natashas Stimme, doch diesmal lauter und
näher. Orb spürte plötzlich neue Kraft in sich, die es ihr ermöglichte, dem Teufel fest ins
Gesicht zu sehen.
Natashas Stimme ertönte hinter einem Hügel. Orb marschierte darauf zu, und auf dem Kamm begegnete
sie ihm.
Er war ein gutgekleideter Mann von kräftiger Statur, wenn auch kein Riese. Er trug das blonde
Haar lang, und seine
Weitere Kostenlose Bücher