Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
Erwachens vortragen?«
»Ich glaube nicht, daß ich dieses Lied kenne.«
»Es handelt sich um ein weiteres Stück des Llanos. Ich habe es auf meiner langen Suche gefunden.
Ich muß jedoch die Warnung vorausschicken, daß dieses Lied sehr mächtig ist, wie alle Aspekte des
Llano, und bei fehlerhaftem Vortrag kann es einige Verheerung anrichten.«
»Ich möchte alles vom Llano wissen!« strahlte Orb.
»Ich glaube nicht, daß es einem Menschen bisher gelungen ist, alle Teile des Llano zu finden,
ganz zu schweigen davon, sie auch zu beherrschen. Meiner Meinung nach ist das Llano als Ganzes so
komplex und variantenreich wie das Leben selbst. Nur wenigen ist es vergönnt, auch nur ein Stück
daraus singen zu können.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, erklärte Orb. »Doch gerade diese Herausforderung reizt
mich!«
»Ja, was für eine Herausforderung!« stimmte er zu und sah sie dabei verlangend an. »Wenn schon
die einzelnen Teile des Lieds solche Macht besitzen, was ließe sich dann erst mit dem
vollständigen Llano bewirken? Ich habe mein Leben der Suche nach diesem wunderbarsten Lied der
Welt gewidmet.«
»Genauso wie ich!«
»Dann will ich Ihnen jetzt das Lied vom Erwachen vortragen, und denken Sie bitte stets daran, daß
ich Sie gewarnt habe.«
Nat erhob sich, atmete tief durch und begann.
Schon die ersten Töne verfehlten ihre Wirkung nicht auf Orb. Es kam ihr so vor, als würde sie
eins mit der Natur. Das Lied breitete sich wie eine lebende Decke aus, und die Welt verdunkelte
sich darunter. Orb war darüber nicht erschreckt, denn gleichzeitig stellte sich ein
unbeschreiblich gutes Gefühl bei ihr ein. Die Magie des Lieds schien die ganze Erde zu bedecken.
In diesem Moment wurde ihr klar, daß jede Geschichte, die sie über das Llano gehört hatte, der
Wahrheit entsprach.
Die Macht dieses Liedes mußte grenzenlos sein.
Im Osten breitete sich ein Lichtschimmer aus, der sich nach und nach rot verfärbte. Seine
Strahlen huschten über den Horizont, und das Rot verwandelte sich in Orange.
Nun erkannte Orb die Melodie wieder: Es war das Lied des Morgens, das sie als Kind einige Male
vernommen hatte. Wie schön das damals gewesen war. Orb bedauerte jetzt, in den letzten Jahren so
sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen zu sein, daß ihr keine Zeit mehr geblieben war, noch
einmal das Erwachen des Tages mitzuerleben.
Was für ein Glück, daß ihr neuer Freund ihr diese Freude jetzt bereitete. Sie hatte sich immer
schon gedacht, daß das Lied des Morgens ein Teil des Llano war. Wie überrascht und beglückt war
sie jetzt, als sie miterlebte, daß es einer menschlichen Stimme möglich war, dieses Lied zu
singen.
Die aufgehende Sonne überstrahlte das ganze Land. Doch es war mehr als das. Jeder Strauch und
jeder Fels gewann eine übernatürliche Klarheit und Färbung, wirkte jetzt schöner als je zuvor.
Die Tautropfen glitzerten wie Edelsteine.
Endlich zeigte sich der ganze prächtige Sonnenball. Er strahlte so hell, daß man den Blick von
ihm abwenden mußte.
Ein einzelner Strahl löste sich von der Sonne und landete auf Orbs Kopf. Er bildete einen
Lichtkegel um sie und tauchte sie in Wärme und goldenen Schein. Orb kam sich in diesem Moment so
vor, als sei sie neugeboren worden... Sie fühlte, daß sie erwachte.
Das Lied erfüllte die ganze Welt mit einer wunderbaren Harmonie.
Der Boden unter Orbs Füßen regte sich, und sie entdeckte, daß neue Schößlinge ans Tageslicht
brachen. Die kleinen Stengel wuchsen sehr rasch heran, nahmen alle Kraft in sich auf, die die
Sonnenstrahlen ihnen schenkten. Blätter lösten sich von den Stengeln und breiteten sich aus, um
noch mehr Sonnenlicht einzufangen.
Knospen schoben sich aus den Pflanzenhalmen und öffneten sich zu Blüten, die in allen Farben
leuchteten: Rosen, Tulpen und Orchideen von ganz neuer, eigener Schönheit. Blumen, die von der
Magie des Morgens geschaffen waren.
Orb ließ den Blick über das Land schweifen. So weit sie blicken konnte, zeigte sich ein
Blütenmeer. Sie kam sich vor wie in einem wunderbaren Garten, und die vielfältigen Blütendüfte
versetzten sie in eine nie gekannte Hochstimmung.
Nat beendete sein Lied. Es war ein langes Lied gewesen, obwohl sich Orb wie in einem Traum
vorgekommen war und deshalb nicht mitbekommen hatte, wieviel Zeit wirklich vergangen war.
Sie sah Natasha an, diesen Magier, der ihr jenes wundervolle Erlebnis geschenkt hatte. Erst jetzt
fiel ihr auf, wie schön und anziehend er war.
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