Inkasso Mosel
Uli.
»Klugscheißer, zahl’ lieber mal deine Rechnungen.« Waldes Unterkiefer begann schmerzhaft zu pochen.
»Heißt das, du meinst«, Uli erschrak, »es war derselbe, der dich hier in der Kneipe angemacht hat?«
Walde nickte.
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass du deshalb eine in die Fresse kriegst. Soll ich die Bullen rufen?«
»Lass’ mal.«
»Dann fahren wir ins Krankenhaus …«, beharrte Uli.
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
Unter dem Fleisch sickerte Blut heraus und lief Walde übers Gesicht.
»Kommt das Blut aus dem Fleisch oder deinem Kopf?«, wollte Jo wissen. »Oder hast du etwa den guten Rosé verschüttet?«
Uli hatte ein Taxi gerufen, das sie zur Schwesterklinik brachte. Die Pförtnerin musterte die drei misstrauisch, ließ sie aber ungehindert in die Notaufnahme. Im Eingangsbereich warteten Menschen mit unterschiedlichen Blessuren in stoischer Ruhe auf die Behandlung.
Waldes Blutverlust gab wohl den Ausschlag, dass sie sofort in ein Behandlungszimmer geführt wurden. Die Ärztin beugte sich über sein Gesicht, um die Verletzung oberhalb des linken Auges zu untersuchen.
Walde hatte keine Ahnung, wie viel er von dem Rosé getrunken hatte, jedenfalls reichte es aus, dass die Frau sichtbar die Nase rümpfte. »Wollen Sie eine Betäubung?«
Walde schüttelte den Kopf.
Ungeachtet seiner Ablehnung zog sie eine Spritze auf: »Ich glaube, das kann nicht schaden.«
Als sie die Kanüle wieder aus der Augenbraue zog, warf sie Uli und Jo, die sich mit vor Mitgefühl verzerrten Gesichtern abgewandt hatten, einen missbilligenden Blick zu.
»Beim letzten Mal hatten sie wenigstens noch eine Vertrauen erweckende Begleitung dabei.« Die Ärztin beugte sich über Waldes Gesicht, das sie bis auf einen kleinen Spalt, der die verletzte Augenbraue freiließ, mit einem grünen Tuch bedeckt hatte.
»Die ist jetzt im neunten Monat, das hat sie von ihrem Vertrauen«, lallte Jo.
Die Ärztin ignorierte ihn.
»Was machen Sie beruflich?«, fragte sie Walde, während sie die Nadel in den Rand der Wunde stieß. Damit versuchte sie wahrscheinlich, ihren Patienten abzulenken, denn nun nahm sie auch auf der anderen Seite den Hautlappen auf und zog ihn über die Wunde.
»Er ist immer noch Kommissar, genau wie ich«, mischte sich Jo erneut ein.
»Und dieser vollschlanke Herr ist ein Doktor, genau wie Sie«, erläuterte Uli. »Ihr Patient kann übrigens noch rechnen, er hat also keine Gehirnerschütterung.«
»Ah, ja!« Die Frau führte noch weitere fünf Stiche aus, bei denen Uli und Jo sich ehrfürchtig zur Seite drehten und sich interessiert in die Zeichnung mit den anatomischen Erklärungen vertieften, die an die Zielgruppe Kinder im Grundschulalter gerichtet war.
Jetzt erinnerte sich Walde wieder an die Ärztin, die ihn früher schon einmal behandelt hatte.
»Sie brauchen ein paar Tage Bettruhe. Ich kann Sie leider nicht krankschreiben, das muss Ihr Hausarzt machen.« Die Ärztin zog das Tuch von Waldes Gesicht.
»Danke, ich hab’ Urlaub und ziehe morgen um.«
»Hoffentlich haben Sie genügend Hilfe.«
Als Waldes Begleiter in fast synchroner Bewegung auf sich zeigten, fügte sie halblaut hinzu: »Oder wenigstens eine gute Hausratversicherung.«
*
Walde ließ sich vor seiner alten Wohnung in der Merianstraße absetzen. Es war zu spät, um noch bei Doris anzurufen. Sicher schlief sie schon. Er war benebelt vom Rosé und den Mitteln, die ihm im Krankenhaus verabreicht worden waren. Den Kontrabass hatte er schon seit Wochen nicht mehr in Händen gehalten. Nach Stehen war ihm aber nicht mehr zumute.
Er schnappte sich eine Gitarre und fläzte sich damit auf die Couch, die Beine auf den Umzugskisten ausgestreckt, die kreuz und quer auf dem kahlen Holzboden neben dem eingerollten Teppich standen. Er spielte eine Akkordfolge.
Nach einer Weile spürte Walde, wie sich in seinem Oberkörper ein Kreislauf bildete, der zwischen Brust und Kopf rotierte und schließlich in seinen ganzen Körper bis in die Fingerspitzen ausstrahlte, in die der Strom die Anregung zu einer Griff- und Rhythmusfolge gab, die er mit Inbrunst wiederholte und die sich in seinen vom rauschenden Kreislauf ebenfalls durchströmten Ohren bei jeder Wiederholung zu einer Melodie verfestigten. Sie gefiel ihm so gut, dass er sie unbedingt im Gedächtnis behalten wollte. Dabei war ihm bewusst, dass sie sich, wie viele andere vorher, am nächsten Morgen verloren haben würde. Auch wenn er die richtige Grifffolge wieder zustande brächte,
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