Inkubus
hatte die Fassade des Gebäudes zersetzt, ihre Farben unter einer pockennarbigen Patina begraben und sie ihrer Bemalungen beraubt. Ein paar Reste des gelblichen Anstrichs waren geblieben und erinnerten mehr an die zerstörerische Kraft der Altstadt als an die glorreiche Vergangenheit des Gebäudes.
Amaldi klingelte an der mit Überwachungskameras ausgestatteten Sprechanlage. Im geisterhaft grünlichen Schein der automatischen Beleuchtung öffnete er das Eisentor, danach die Tür mit der Panzerglasscheibe, grüßte den diensthabenden Beamten am Eingang und ging die drei Stufen zum »U-Boot« hinunter. Die Verbannung in den Untergrund war der Preis dafür, dass unter seiner Leitung eine eigene Abteilung für Serienmörder eingerichtet wurde. Manchmal fehlte ihm die herrliche Aussicht aus dem alten Präsidium. Mittlerweile war er bei seinem Büro angelangt, das vom Rest des langen schlauchartigen Raums nur durch eine dünne Holzwand abgetrennt war. Alles war in einem hässlichen Grünton gehalten. Er öffnete die Tür. An der rechten Wand hing eine riesige Tafel mit den ungelösten Fällen. Bei fast allen Opfern waren die Augen weit aufgerissen, in ihren glasigen Pupillen lag der ganze Schrecken, der ihrem gewaltsamen Tod vorausgegangen war.
Nicola Frese, Polizeimeister Torrisi und Max Peschiera aus dem Archiv warteten schon auf ihn. Ihre Gesichter wirkten ernst. Die Gesichter einer Hand voll Verschwörer.
Amaldi schloss die Tür und sah sie einen nach dem anderen an.
Niemand sonst wusste von diesem Treffen. Und schon gar nicht, aus welchem Grund es stattfand.
»Höchstwahrscheinlich teilt man mir morgen mit, wie meine Suspendierung ablaufen soll«, kam Amaldi gleich auf den Punkt. »Sie werden es nicht an die große Glocke hängen, aber bestimmt keinen Tag länger warten.«
Keiner der drei Männer sagte etwas dazu.
»Wir werden so vorgehen«, fuhr er fort. »Max, du meldest dich heute Abend krank. Mit dem ärztlichen Attest gibt es keine Probleme …«
Max nickte. Er war blass.
»Was dich betrifft, Nicola, du wirst einen vorgezogenen Urlaub einreichen. Aber warte ein paar Tage, damit man keinen Verdacht schöpft. Ich glaube kaum, dass man dir den verweigern wird, nachdem du diesen Unsinn angestellt hast …«, sagte Amaldi schroff. »Ich weiß nicht, was für ein masochistisches Vergnügen du daran findest, mit mir unterzugehen. Daran ist nichts Heldenhaftes.«
»Mach dir keine Sorgen, Giacomo«, antwortete Frese. »Du hast doch den Polizeipräsidenten neulich gehört. Er hat mich praktisch ein Stück Scheiße genannt … und bekanntlich schwimmt Scheiße immer obenauf.«
Torrisi und Max lachten darüber.
Amaldi sah Frese mit ernstem Gesicht an. »Na jedenfalls … danke«, sagte er.
Frese schaute verlegen weg.
»Du, Torrisi, wirst weiter hier Dienst tun …«, fuhr Amaldi fort.
Der wollte schon widersprechen, aber Amaldi ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.
»Wir brauchen jemanden, der hier die Stellung hält«, erklärte er. »Und einen Verbindungsmann. Jemand, der die Lage beobachtet und über alle eventuellen Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten wird. Ich zähle auf dich.«
»In Ordnung«, sagte Torrisi und nickte.
»Du riskierst von uns am meisten«, warnte ihn Amaldi.
Torrisi nickte wieder.
Erst jetzt setzte sich Amaldi an seinen Schreibtisch.
»Ich werde die ganze Verantwortung auf mich nehmen, falls etwas herauskommen sollte«, fügte er düster hinzu. »Das bedeutet aber nicht, dass ihr nicht mit hineingezogen werdet. Das kann ich euch nicht versprechen … Ihr solltet euch immer vor Augen halten, dass ihr alle eure Karriere aufs Spiel setzt …«
Er sah sie an, keiner von den dreien sagte etwas. Es waren eben seine Männer.
»Jeder von euch kann jederzeit aussteigen, das würden alle, nicht zuletzt ich, begreifen«, sagte er abschließend.
Wieder schwiegen sie. Und warteten auf seine Anweisungen.
»Kannst du bei mir zu Hause arbeiten?«, fragte Amaldi Max.
Der nickte.
»Du kannst auch dort schlafen. Es gibt ein Gästezimmer.«
»Kann ich denn die Katze mitbringen?«, fragte Max.
»Giuditta wird sich bestimmt freuen, sie wiederzusehen«, meinte Amaldi lächelnd. »Kannst du von dort aus alle Daten einsehen, die du brauchst?«
»Ja, kein Problem. Ich habe meinen Zugangscode.«
»Wird man merken, dass jemand da in den geheimen Archiven herumstöbert, wie es ihm beliebt?«, fragte Amaldi.
»Das glaube ich kaum. Ich habe die Vorgesetzten schon mehrfach darauf hingewiesen, dass
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